Schätze aus dem Filmarchiv
Festival — Vom 5. bis 8. Dezember findet im Kunstraum Walcheturm der «Marathon des Zelluloids» statt, das 10. IOIC Stummfilmfestival mit Live-Vertonungen. Das Institute of Incoherent Cinematography (IOIC), gegründet 2011, hat für den zehnten Anlauf ein schillerndes Programm zusammengestellt. Es lässt das breite Spektrum erahnen, das es unter dem Stichwort «Stummfilm» zu entdecken gibt: Liebenswürdig raffinierte Experimente mit den Möglichkeiten des Mediums wie James Stuart Blacktons «The Enchanted Drawing» aus dem Jahr 1900 stehen neben Klassikern wie «Berlin. Symphonie einer Grossstadt» und «Man with a Movie Camera». Ebenso finden sich surrealistische und dadaistische Kunstwerke von Luis Buñuel, Germaine Dulac und Hans Richter. Mit einigen Kurzfilmen der Avantgardistin Maya Deren aus den 1940ern sind auch Werke aus der Zeit nach der eigentlichen Stummfilmära vertreten. Dazu kommen ein liebevoll kuratiertes Kinderprogramm und eine Sideshow, in deren Rahmen sich die äthiopische Band Ethicolor mit den Filmen über Walter Mittelholzers Afrikareisen auseinandersetzt. Gleichermassen vielfältig fällt die musikalische Begleitung aus: Von Flöte und Saxophon bis zur wummernden Elektronik ist alles vertreten.
Filmvorführungen mit Live-Musik zu untermalen, ist keine neue Idee, sondern wurde bereits in der Blütezeit des Stummfilms praktiziert. Aus der modernen Linse betrachtet wird daraus eine aufregende Hybridform aus Konzert- und Filmerlebnis. Wer wollte, konnte sich etwa am 12. November schon einen Vorgeschmack holen: In der Filmstelle wurde Fritz Langs im Jahr 1927 erschienenes monumentales Werk «Metropolis» gezeigt. Wer vermutet hätte, dass für ein Format wie dasjenige des IOIC nur ein überschaubares nerdiges Publikum existiert, wurde eines Besseren belehrt: Schon lange vor Filmbeginn war der Vorführungssaal restlos voll. Mit beeindruckender Genauigkeit schmiegte sich die Vertonung von Iokoi & Bit-Tuner an Langs expressionistische Bildsprache. Mal wabernd und sphärisch, mal stampfend, klaustrophobisch und drückend produzierten sie Musik, die so vielschichtig ist wie die titelgebende Stadt mit ihren Türmen, Gärten, Fabriken und Katakomben.
Verschnaufen können die beiden Veranstalter nach dem Marathon kaum, denn bald folgt ein Buster-Keaton-Festival. Keaton ist eine der grossen Gestalten der Stummfilmkomödie. Über die todesmutige Akrobatik seiner Stunts, die Exaktheit seines komödiantischen Timings und die Faszination seines ausdruckslosen Gesichts ist so viel geschrieben und geredet worden, dass es immer wieder erstaunt, wie frisch und unverbraucht seine Filme noch heute wirken. Wer sich Keatons gleichzeitig überschäumenden und lakonisch trockenen Humor zu Gemüte führen will, muss sich vom 26. bis zum 29. Dezember im Filmpodium einfinden.
Dass man sich solche Filme auf der grossen Leinwand anschauen kann, ist in vielerlei Hinsicht ein Glücksfall; «Metropolis» beispielsweise hat, wie viele Filme aus seiner Zeit, eine abenteuerliche Überlieferungsgeschichte, wie man sie sonst wohl eher von mittelalterlichen Handschriften kennt: Der Film wurde kurz nach Veröffentlichung rabiat gekürzt und umgestellt. Ganze Szenen waren verschollen, bis 2010 auf Basis einer in Buenos Aires entdeckten Version eine fast vollständige Fassung des Films vorgelegt werden konnte. Das Ausmass an restauratorischer Arbeit hinter dem Film, den wir heute anschauen können, ist schwer vorstellbar. Umso kostbarer sind Liebhaberprojekte wie das IOIC, die sich der Vergegenwärtigung solcher Kunstwerke widmen.