Notenschnitt per Fingerzeig
Jonny Burger hat die «Bestande»-App entwickelt. Nach der ETH hat ihm nun auch die Uni den Zugriff auf die Studierenden-Logins entzogen.
Die App mit der roten Sechs auf weissem Hintergrund kennen die meisten Studierenden der Uni Zürich. Schliesslich vereinfacht sie den Uni-Alltag: Sie zeigt nicht nur alle gebuchten Module an, sondern stellt diese auch gleich zu einem Stundenplan zusammen. Studis, die ein
Modul absolviert haben, können das Modul überdies bewerten, und der Notenschnitt früherer Jahrgänge wird angezeigt. Du weisst nicht, wo du heute zu Mittag essen sollst? Kein Problem. Auch der Menüplan der verschiedenen Uni- und ETH-Mensen ist in die App integriert. Und das Wichtigste natürlich: Der eigene Notendurchschnitt, inklusive korrekter Gewichtung nach ECTS-Punkten.
Letzteres war für den damaligen Wirtschaftsinformatik-Studenten Jonny Burger der Hauptgrund, die App zu entwickeln. «Es war mühsam, jeweils in der Leistungsübersicht nachschauen zu müssen, ob man ein Fach bestanden hat oder nicht», erklärt der 24-Jährige. Mit der App wollte er den Vorgang automatisieren. Somit kam das Programm Anfang 2016 – während der Prüfungssession – erstmals in den App-Store. «Wir mussten nicht gross Werbung machen», sagt Burger. Die Existenz der App habe sich schnell herumgesprochen.
Uni-Server überlastet
Doch bald bekam der Entwickler Probleme mit der Uni, denn: Burger hatte die App auf den Markt gebracht, ohne die Uni um ihre Erlaubnis zu fragen. «Die Idee war, dass Anwender*innen beim Eintrag einer neuen Note eine Benachrichtigung erhalten würden.» Dadurch war der Uni-Server bald komplett überlastet. Somit sperrte die Uni «Bestande». Die Hochschule habe sich aber auf ein Gespräch eingelassen. «Es wurde abgemacht, dass wir dieses Feature weglassen würden», sagt Burger. Somit konnte er die Weiterentwicklung der App in Angriff nehmen. Aber das Login habe die Uni auch damals nicht explizit befürwortet.
Weniger kulant zeigte sich die ETH. Nachdem «Bestande» an der Uni so gut ankam, weitete Burger die Dienste auf die ETH aus. Was folgt, mutet ziemlich bizarr an: Im Herbstsemester 2018 meldete sich ein Mitglied des VSETH-Vorstand – er befürworte die App nicht. Schnell war ein entsprechender Artikel im ETH-Gesetz gefunden, der besagt, dass Logins von Studierenden nicht an Drittparteien weitergegeben werden dürfen. Auf eine E-Mail des VSETH folgte ein eingeschriebener Brief der Rektorin Sarah Springman. «Es lohnte sich nicht, dagegen anzukämpfen», so Burger. Also begrenzte er das Login wieder auf die Uni. «Doch die App speichert die Passwörter der Studis nicht», erklärt Burger.
App füllte Bedürfnislücke
Dennoch ist Burger der ETH «nicht böse», wie er sagt. «Ich habe die App gemacht, ohne die ETH zu informieren.» Dies habe – wie auch im Falle der Uni – einen einfachen Grund. «Ich weiss, wie schwierig es für Hochschulen ist, ihre technischen Funktionen zu erweitern.» Die Motivation hinter der App sei das Füllen einer Bedürfnislücke gewesen: «Ich entwickelte ‹Bestande›, weil die Uni es nicht schaffte, so was anzubieten.» Vor «Bestande» gab es keine vergleichbaren Angebote für Studis. Unterdessen versucht die Uni mit der App «UZH now» eine ähnliche Applikation zu etablieren. Dass sie kürzlich ebenfalls auf der Entfernung des Logins bestanden hat, war für Burger somit nicht überraschend.
Was ändert sich also mit dem Wegfallen des Uni-Logins? «Neue Noten werden nicht mehr abgerufen und müssen ebenso wie Module manuell hinzugefügt werden», erklärt Burger. Daten, die noch während des Bestehens der Login-Funktion hinzugefügt wurden, bleiben aber erhalten. Angst, dass die App nicht mehr benutzt wird, hat Burger nicht. «‹Bestande› hat viele Funktionen, die die ‹UZH now›-App nicht anbieten kann», erklärt er. So sind etwa die Bewertungen von Modulen, der individuell zusammengestellte Stundenplan oder die neue Chat-Funktion Burgers App zu eigen. Zudem kann die offizielle Uni-App den Notendurchschnitt nicht anzeigen, da die Gewichtung der Noten kompliziert sein kann – nicht alle Module zählen für die Berechnung des Schnitts. Bei «Bestande» können dies Nutzende gleich selbst anpassen, indem sie wählen, welche Module zu den Credits und welche für den Notenschnitt angerechnet werden.
Studis anderer Unis zeigen Interesse
Durch das Wegfallen des Logins sieht Burger noch viel Entwicklungspotential in seinem Projekt. «Momentan will ich die Angebote für Uni- und ETH-Studierende ausbauen.» Später will er «Bestande» vielleicht sogar an anderen Unis anbieten – das Interesse wäre bereits vorhanden. «Die Studierenden-Organisation der Uni Luzern hatte mich diesbezüglich einmal angefragt.» Viele Hochschulen würden eine App anbieten, doch verfügten die meisten nicht über so viele Funktionen wie «Bestande». «UZH now» findet Burger «gar nicht so schlecht», aber bei der «EduApp» der ETH sieht er «Verbesserungspotential»: Es habe schon länger keine Updates mehr gegeben.
Burger selbst hat seinen Bachelor vor zwei Jahren abgeschlossen und verspürt zurzeit kein Bedürfnis nach einem Master-Studiengang. «Ich habe mir das Programmieren eigentlich selbst über das Internet beigebracht», sagt er. Sein Wirtschaftsinformatik-Studium mag ihm beim Entwickeln der App etwas geholfen haben – aber das Studium sei eher auf eine spätere Laufbahn bei einer grossen Software-Entwicklungs-Firma ausgelegt. «Viele Fächer sind veraltet», findet Burger. Er würde einen verstärkten Fokus auf das Praktische, wie eben das Programmieren, befürworten.
Keine einträgliche Arbeit
Burger arbeitet mittlerweile Teilzeit als Programmierer und betreibt «Bestande» sowie weitere Software-Projekte nebenbei. «Es ist viel Gratisarbeit, aber ich mache ‹Bestande› gern», so Burger. Er wolle Apps kreieren, die Leute tatsächlich benutzen. Das Finanzielle rücke da schnell mal in den Hintergrund. Dabei nehme die Arbeit an der App etwa den Umfang von 30 bis 40 Stellenprozent in Anspruch. Momentan arbeitet Burger alleine daran. Im Bereich Marketing hatte er Hilfe von den Mitstudenten Julian Graf und Ramin Yousofzai, die bis heute Mitinhaber sind.
Einträglich ist die App dabei nicht. Zu Beginn kostete sie noch zwei Franken. Doch Burger merkte schnell, dass das keine gute Idee ist: «Viel weniger Studis hatten die App heruntergeladen.» Der Richtungskurs auf eine kostenlose Applikation scheint funktioniert zu haben: Kürzlich hat die App die 20’000-User-Marke geknackt. Einnahmen macht «Bestande» bloss über Werbebanner. «Man kann aber einen Job, der so viel Arbeit beansprucht, nicht bloss mit Werbung bezahlen», erklärt Burger. Er betreibe «Bestande», weil er es toll finde, etwas selbst zu kreieren, und er das Potential ausschöpfen wolle. Zudem motiviere ihn das gute Feedback, das er von Studierenden erhalte. Und das Ende des Uni-Logins sei nicht das Ende der App, sondern der Anfang von etwas Neuem, da ist sich Burger sicher: Er wird in Zukunft weiterhin an der Weiterentwicklung und Verbesserung von «Bestande» arbeiten.