«Anfangs sah ich mich nicht als Komiker»
Wenn einer etwas von Spass versteht, dann er: Mike Müller gehört zu den erfolgreichsten seines Metiers.
Herr Müller, waren Sie ein Klassenclown?
Nein, ich war kein Unterhalter in der Schule. Ich verhielt mich nicht anders als meine engsten Kollegen. Natürlich provozierte ich. Aber ich finde das normal.
Sie studierten 27 Semester lang Philosophie an der Uni Zürich. Warum brauchten Sie so lange?
Ich blieb bei einer Seminararbeit stecken. Und ich arbeitete immer nebenbei. Gegen Ende des Studiums unterrichtete ich Englisch in einer Sek-C-Klasse. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Meine Theateraktivitäten wurden immer grösser und aufwendiger. Das kreuzte sich einfach.
Hatten Sie Spass im Studium?
Die Uni unterhielt mich viel zu stark. Ich liess mich gerne ablenken. Das Problem habe ich heute noch. Es gab interessante Leute, die ich beobachten konnte. Der Start war aber harzig. Ich fühlte mich als Provinzler, und ein richtiger Paradestudent wurde ich nie. Spannend fand ich es erst gegen den Schluss.
Waren Sie schon damals ein politischer Mensch?
Ich wurde früh politisiert. Am Esstisch gab es grosse Grabenkämpfe. Mit 17 Jahren abonnierte ich die Arbeiterzeitung «AZ», um meinen Vater zu ärgern. Das war früher die rote Zeitung.
Aber in politischen Vereinen waren Sie nie?
Die habe ich alle ausgelassen. Einmal sagte mir ein Kollege in einem Seminar: «Ich bin Maoist.» Da begann ich laut zu lachen. Ich fand es einen Hammerwitz, bei dem, was wir lasen. Er meinte es aber ernst. Ich hatte vielleicht aus Instinkt eine Abneigung gegen diese Ideologien.
Warum eine Abneigung?
Das sind Ideologien, die auf Allmachtsfantasien fus-sen. Sie sind letztlich enorm optimistisch. Ich habe Freude an Vitalität. Darum habe ich Tiere so gerne.
Wie bitte?
Ich finde Tiere sehr interessant. Ich finde auch Kinder lustig, weil sie eine Vitalität verkörpern, die uns Erwachsenen abhanden kommt. Vitalität ist in all diesen Ideologien nicht vorhanden. Sie bedienen nur ihren Sektor. Das ist entweder Heimatkitsch, Technologieglaube oder Klassenkampf. Sie streiten sich um die Vorherrschaft der Rede. Und sie kommen einander ins Gehege. Ich will keiner Gruppe ausschliesslich
angehören.
Sie moderierten fast neun Jahre lang zusammen mit Viktor Giacobbo die Late-Night-Show «Giacobbo/Müller» im Schweizer Fernsehen. Wie wurden Sie zum Komiker?
Ich sah mich anfangs nicht als Komiker. Ich bin über das Theater dazu gekommen. In der Theatergruppe Olten improvisierten wir viel. Und wir spielten
immer Produktionen, die auch lustig waren. Humor lässt sich nicht an einer Schule erlernen. Sobald Humor konfektioniert wird, ist er nicht mehr überraschend.
Gibt es für Sie Grenzen, über was Sie sich lustig machen?
Bei der Sendung war für mich klar: Ich mache nichts über eine Massenentlassung bei ABB oder über die Vergewaltigung eines Au-pairs. Die Themen sind nicht tabu, sie sind halt einfach nicht lustig. Als Komiker kann ich höchstens die Medienberichterstattung über diese Ereignisse kritisieren. Beim Vierfachmord von Rupperswil machten wir genau das. Der «Tages-Anzeiger» hatte den Weg des Täters zum Tathaus gefilmt. Das Video hatte einen Mehrwert von -300.
Heute teilen Sie gerne auf Twitter aus. Ist das Ihr Ersatz für die Late-Night-Bühne?
Ich finde Twitter eine lustige Plattform, um sich zu zoffen. Die Diskussionen sind ein Hahnenkampf. Manchen Leuten ist das auch zu viel.
Sehen Sie in der Plattform eine Konkurrenz zu Late-Night-Shows?
Twitter hat eine gewisse Ähnlichkeit zu Late-Night. Kürze ist entscheidend. Man muss schnell, direkt, klar und böse sein. Während laufender Staffeln hielten Viktor und ich uns auf Twitter zurück. Wir wollten die besten Jokes in die Sendung nehmen und sie nicht auf Twitter rauslassen. Wir fanden aber auch zwei, drei Autor*innen über Twitter. Sie brachten guten Inhalt und beherrschten die Form. Wir merkten, dass sie uns keine langen Reden für die Sendung vorschlagen würden. Denn das hätte in einer Late-Night-Sendung, so wie wir sie machten, nicht funktioniert. Es ist jedoch nicht die einzig wahre Form.
Aber Ihre Lieblingsform?
Es war die, die damals richtig war. Heute müsste man eine solche Sendung anders gestalten. Die Unterhaltung verändert sich. Die Kanäle werden komplett anders. Wenn am Mittwoch etwas passiert, ist man am Sonntag ein wenig zu spät: Die besten Memes wurden bereits gesehen – und die sind leider nicht von einem selber. Memes waren vor sechs Jahren noch nicht so populär. Und auf Instagram haben die Clips eine andere Form. Lineares Fernsehen ist unter Druck. Ich sehe das auch bei mir persönlich. Bis vor fünf Jahren habe ich so gekocht, dass wir um 19.30 Uhr essen konnten, wenn die «Tagesschau» beginnt. Das mache ich heute nicht mehr. Die «Tagesschau» läuft dann, wenn ich es will. Nämlich dann, wenn die Sauce eingekocht ist. Keine Sekunde vorher.
Ihre Sendung war beliebt: Sie erreichte bis zuletzt einen Drittel der Deutschschweizer Fernsehzuschauenden. Trotzdem haben Sie aufgehört. Hatten Sie keine Lust mehr?
Nein. Wir haben die Sendung bis zur letzten Show gerne gemacht. Wir haben uns jedes Jahr formell gefragt, ob wir weitermachen wollen. Unsere Verträge liefen nie länger als ein Jahr. Irgendwann fanden wir: Jetzt haben wir genug. Wir sind nicht solche, die ewig dasselbe machen wollen. In der Regel eröffnen sich einem dann auch neue Möglichkeiten. Unmittelbar am Fest nach der letzten Sendung, keine 15 Minuten danach, fragte mich Fredy Knie, ob ich mit Viktor für eine Saison zum Zirkus Knie kommen wolle.
Sie nahmen das Angebot an. Seit Anfang Jahr treten Sie zusammen mit Viktor Giacobbo im Zirkus Knie auf. Zweifeln Sie nach all den Jahren noch, ob ihre Auftritte gelingen?
Ja, bei etwas Neuem immer. Bei einer Late-Night-Show heisst es sowieso: «You better be funny». Und wenn ich als Komiker im Zirkus auftrete, ist es gut, wenn die Leute wegen mir lachen. Sonst habe ich ein Problem. Wir treten zwischen akrobatischen Glanznummern auf und sind auf 340 Grad vom Publikum umgeben. Jede Nummer ist neu geschrieben, jede Nummer ist auf den Zirkus bezogen. Ob die Nummern dann im Zirkus funktionieren, war nicht klar. Einer meiner Auftritte, bei dem ich Mike Shiva spiele, ist improvisiert und hängt davon ab, was mich das Publikum fragt. Ich gehe damit ein gewisses Risiko ein. Nicht an jedem Abend funktioniert die Nummer gleich gut. Das Publikum sieht, dass es ein wenig gefährlich ist.
Komik muss also ein wenig gefährlich sein?
Nein, das halte ich für moralisch überhöht. Überraschend muss sie sein. Und eine Improvisation ist überraschend. Zweimal wollte jemand von mir als Mike Shiva wissen: «Wie sieht das zweihundertjährige Jubiläum des Zirkus Knie aus?» Als Komiker habe ich zwei Möglichkeiten: Entweder antworte ich sehr schnell, dann muss ich gar nicht so lustig sein. Oder aber, ich überlege mir eine Antwort. Dann sollte sie sehr lustig sein. Auf die Frage nach dem nächsten Zirkus-Jubiläum ist mir rausgerutscht: «Ähnlich wie heute, einfach ohne dich.» Wenn diese Antwort schnell genug kommt, dann funktioniert sie. Darauf kann ich mich einfach nicht vorbereiten. Wenn die Frage an einem anderen Abend wieder gestellt wird, bringe ich die Antwort erneut. Das nutze ich gnadenlos aus.
«Das Studium war ein Teil meines Weges und prägt mich bis heute» (Bild: Jonathan Progin).
Sie spielen immer noch dieselben Figuren wie schon für die Fernsehsendung. Langweilt Sie das nicht?
Figuren, die uns langweilten, haben wir ausgestaubt. Die Figuren entwickeln sich weiter. Der grosse Schweizer Clown «Grock» spielte drei Nummern – und das in seinem gesamten Leben!
Herrscht beim Zirkus eine andere Kultur?
Beim Zirkus wird bei allem zuerst geschaut, ob es geht. Aber es wird versucht. Beim Fernsehen hingegen mussten wir einige Male gegen die Strukturen ankämpfen. Mich interessiert nur der Inhalt. Da bin ich ein wenig primitiv. Wenn mir jemand sagt, etwas sei wegen einer Struktur nicht möglich, werde ich arrogant. Entweder wird die Struktur geändert, und zwar sofort, und wir können das Projekt durchziehen. Oder halt eben nicht.
Stiessen Sie oft auf Widerstände?
Beim Verteidigungsdepartement, dem VBS, gab es auch kritische Stimmen gegenüber unserem Stück «Truppenbesuch», das ich mit meinem Bruder Tobi schrieb. Ich traf mich mit den Presseverantwortlichen der Armee und sagte: «Ich bin Armeegegner, mein Bruder ist Armeegegner, der Regisseur ist Armeegegner. Aber wir wollen ein Stück über die Armee machen.» Sie haben sich für das Projekt eingesetzt. Die Armee kommuniziert offen. Das hat mich überrascht. Sonst gibt es für alles Medienverantwortliche, damit man nicht mehr an die Leute gelangt. Die sitzen dabei und schneiden einem das Wort ab. Von einem Bankenchef erfährt man heute nichts mehr.
Und wie half Ihnen das Philosophiestudium bei all dem?
Früher wurde ich das aus zwei Gründen gefragt. Die einen sagten, das Studium bringe nichts. Das waren Leute, die es abgebrochen hatten. Die anderen fragten mich, warum ich solche Theaterstücke schreibe. Das waren Leute, die das Studium abgeschlossen hatten. Das Studium war ein Teil meines Weges und prägt mich bis heute. Es war ein schickes Buffet, an dem ich mich bedienen konnte. Das macht man nur einmal im Leben. Man studiert zu einer Zeit, in der die ökonomischen Zwänge noch nicht so gross sind.
Sie würden wieder dasselbe studieren?
Heute sind meine Interessen breiter. Im Moment beschäftige ich mich für ein neues Stück mit Erbrecht. Darum interessiere ich mich für juristische Fragen. Früher habe ich Jurist*innen hochnäsig abgelehnt. Mit der Zeit merkte ich, dass es noch andere Richtungen gibt, die mir liegen. Ein naturwissenschaftliches Studium würde ich jedoch nie wählen.
Aber Sie sind doch technikbegeistert.
Ein naturwissenschaftliches Studium ist für mich etwa so abwegig wie eine Profisportkarriere. Ich
mache selber sehr viel Sport. Das sieht man mir leider nicht an. Sport ist ein guter Ausgleich für mich. Ich brauche auch für meine Theaterstücke viel Kondition, damit ich auf der Bühne nicht abnipple. Das heisst aber nicht, dass ich je sportlich geworden wäre. Ich hatte auch nie kompetitive Ambitionen.
Sie haben die letzten Jahrzehnte die Schweiz bespasst. Wovon lassen Sie sich unterhalten?
Ich möchte ein möglichst breites Humorverständnis haben. Es gibt viel Lustiges, auf dem nicht «Humor» darauf steht. In letzter Zeit habe ich aus beruflichen Gründen amerikanische Stand-Ups geschaut. Dort geht es viel mehr um Penisse und Vaginas.
Das finden Sie lustig?
Nein, finde ich nicht. Es gibt eine kulturelle Differenz zwischen den USA und Europa. In den USA wächst man in einem Umfeld auf, in dem alles «geblurred» und «gebeeped» ist. Ich habe auch nichts gegen derbe Witze. Ich könnte einfach nicht auf eine Bühne steigen und 90 Minuten von meinem Schwanz erzählen. Als alter, weisser Mann sowieso nicht. ◊
Zur Person:
Mike Müller ist Autor und Schauspieler. In seiner Jugend gründete er zusammen mit Freunden die Theatergruppe Olten. Später war er als Schauspieler in der freien Szene in Zürich tätig. In der TV-Serie «Der Bestatter» des Schweizer Fernsehens spielte er die Hauptrolle und moderierte knapp neun Jahre lang die Late-Night-Show «Giacobbo/Müller» zusammen mit Viktor Giacobbo. Zurzeit treten beide zusammen als Komiker-Duo im Zirkus Knie auf.