Die das Collegium beherbergende Sternwarte von aussen. zVg

«Wir sind sicherlich kein elitärer Haufen»

Am Collegium Helveticum forschen Professor*innen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen. Die Rahmenbedingungen des Instituts benachteiligen jüngere Wissenschaftler*innen.

10. Oktober 2019

Wie ausgestorben wirkt die Semper-Sternwarte. Ausser der Kuppel lässt wenig vermuten, dass das Gebäude in früheren Tagen tatsächlich eine Sternwarte und die meteorologische Zentralanstalt beherbergte. Doch der erste Eindruck täuscht. Die Zeiten, in denen Sonnenflecken entdeckt wurden, sind zwar vorbei, doch emsig geforscht wird immer noch. Heutzutage setzen sich Wissenschaftler*innen des Collegium Helveticum mit gesellschaftlichen wie auch wissenschaftlichen Herausforderungen auseinander.

Unabhängig von der Privatwirtschaft

Im Jahr 1997 gründete die ETH das Collegium Helveticum in seiner jetzigen Form. Das Forum mit dem vielversprechenden Namen hat sich zum Ziel gesetzt, den «interdisziplinären Austausch zwischen den Natur-, Technik-, Geistes- und Sozialwissenschaften» zu fördern. Seit dem Jahr 2004 tragen die Universität Zürich und seit drei Jahren auch die Zürcher Hochschule der Künste das Projekt mit. Die personelle Vertretung der Hochschulen durch ordentliche Professor*innen, die sogenannten Fellows, orientiert sich dabei am jeweiligen Budget. Je mehr Geld eine Hochschule spricht, desto mehr Fellows können am Collegium forschen: Die ETH und die Universität Zürich stellen je drei Fellows, die ZHdK einen.

Das Collegium ist dadurch nicht auf andere Geldgeber*innen angewiesen. Ob das auch in Zukunft so sein wird, ist aber ungewiss. Leiter ad interim Hartmut von Sass könnte sich auch eine Zusammenarbeit mit wirtschaftlichen Akteuren, wie beispielsweise Google, vorstellen. Die Unabhängigkeit sei schliesslich eine Frage von vorausgegangenen Gesprächen und könne in Abmachungen vertraglich gesichert werden. Diese Entscheidung liegt aber grundsätzlich bei der nachfolgenden Leitung. Von Sass ist temporär eingesprungen, da der frühere Leiter Thomas Hengartner im Jahr 2018 nach Krankheit verstorben ist.

Jüngere Wissenschaftler*innen sind benachteiligt

Passend zum Einfluss von Tech-Riesen widmen sich die Fellows in der jetzigen Periode dem Thema «Digital Societies». Die Fellows konnten sich mit ihrem eigenen Projekt auf die Stelle bewerben, in dem sie sich mit einem Teilaspekt von Digitalisierung auseinandersetzen. Einmal angestellt ist es aber nicht so, dass sie nur noch in der ehemaligen Sternwarte forschen: die meiste Zeit verbringen sie an den eigenen Instituten und sind jeweils für einen Tag am Collegium. Denn um als Fellow in Betracht gezogen zu werden, müssen Interessierte bereits ordentliche Professor*innen sein. Am Collegium unterstützen Professor*innen, akademische Mitarbeitende wie auch Professionelle aus dem nicht-akademischen Bereich die Fellows bei ihrer Arbeit.

Der Leitung ist bewusst, dass durch diese Rahmenbedingungen jüngere Wissenschaftler*innen benachteiligt werden. Das Collegium berät schon seit geraumer Zeit, wie sich das Institut zukünftig präsentiert. So könnten beispielsweise längerfristige Verträge zukünftig auch Postdocs ansprechen.

Herausforderung Interdisziplinarität

So schön das Wörtchen Interdisziplinarität klingt, und so gut es sich für Fundraising-Zwecke eignen mag: Es kommt nicht von ungefähr, dass sich das Institut als Versuch versteht. Fächerübergreifendes Forschen wird vor allem in den Geisteswissenschaften gepflegt. Das Mitwirken beim Collegium ist für einige Branchen aus den Naturwissenschaften also ein erster Gehversuch. Von Sass findet jedoch, dass dies auch von Vorteil sein kann. So stossen viele Projekte in unbekannte Gefilde vor und wagen Neues. Entgegen dem vorherrschenden Veröffentlichungsdruck in der Forschung darf und soll die Tätigkeit am Collegium frei und ungezwungen sein.

Von dieser Haltung überzeugt ist auch Nikola Biller-Andorno, die als Fellow am Collegium forscht. Ihr Projekt befasst sich mit den Chancen der Digitalisierung für Patient*innen. Sie meint, dass gerade in Bezug auf Interviewauswertungen die Textanalyse ein spannendes Instrument sei, mit dem sie bis anhin nur wenig in Berührung gekommen sei. Seien erste Verständigungsschwierigkeiten aufgrund der Sprache und Terminologien beseitigt, sei das interdisziplinäre Forschen horizonterweiternd und unkompliziert.

Studis: Fehlanzeige

Ein Blick in das Publikum bei Vorträgen des Collegiums zeigt: Der Diskurs des Collegiums erreicht vor allem Menschen mit grauem Haaransatz, Studierende sind ganz klar untervertreten. Von Sass anerkennt, dass das Marketing des Collegiums definitiv die Achillesferse sei. Über eine eigene Abteilung, die sich der Öffentlichkeitsarbeit widmet, verfügt das Collegium beispielsweise nicht. Das ist zu bedauern, scheinen doch Themen wie der Übergang von analoger Fotografie zu elektronischen Bildtechnologien auch für ein jüngeres Publikum relevant zu sein. Gerade Bachelor- oder Master-Studierende gehören einer Generation an, die einer Zeit der Umbrüche gross geworden ist.

Trotz dieser Schwierigkeiten scheint sich das Collegium um Sichtbarkeit zu bemühen. Denn, «ein elitärer Haufen sind wir sicherlich nicht», wie von Sass betont.

Noch bis am 29. Februar ist die Ausstellung «Privatsphäre – geschützt, geteilt, verkauft» im Stadthaus Zürich zu sehen. Kuratierende sind Christian Ritter und Sarah Genner des Collegium Helveticum.