Unentdecktes entdecken
Das Start-up #letsmuseeum bietet alternative Museumsführungen an. Diese vermitteln einen kritischen Blick auf Altbekanntes.
«Frauen und Wein sind die beste Gesellschaft», sei vor ein paar Wochen auf einem Schild vor dem Kunsthaus gestanden, sagt Museumsführerin Sina. Deswegen haben wir uns heute zu der etwas anderen Museumstour «Womamazing» versammelt. Denn das Kultur-Start-Up #letsmuseeum will gängige Kunstnarrative hinterfragen.
Museumsführung – ein Wort, das mit langweiligem, elitärem Gerede, stundenlangem Stehen und unterdrücktem Gähnen assoziiert wird. Besucht man in den Ferien ein Guggenheim oder MoMA, hängt man sich wenigstens ein Audiotour-Gerät um, man will sich ja kunsthistorisch interessiert zeigen. Doch die monotone Stimme lässt die Begeisterung für ein Kunstwerk, das an sich bemerkenswerte, kuriose oder überwältigende Geschichten erzählen könnte, verblassen. Zuhause nimmt man selten an einer Führung teil – das ist die eigene Stadt, man ist doch keine Touristin, kein Tourist. Dabei gäbe es so einiges zu entdecken.
Eine Frage der Perspektive
So bleiben wir auf der Tour mit Sina vor einer weissen Wand stehen. «Hinter mir hängt ein Bild in goldenem Rahmen», sagt sie. Das Bild zeige eine der meistfotografierten Berühmtheiten der vergangenen paar Jahre. Es sei Kim Kardashian, nackt, nur ein weisses Tuch bedecke sie zwischen den Beinen. Ein paar lüsterne «creepy dudes» würden sie betrachten, mit einem perversen Grinsen auf dem Gesicht. Fänden wir das Bild anstössig, würde es uns erzürnen? «Was soll Kunst zeigen dürfen?», fragt Sina.
Die Frage bleibt offen – bis wir im nächsten Stock auf ein Gemälde stossen, diesmal ein physisch reales, das genau genanntes Motiv zeigt. Doch anstelle von Kim Kardashian liegt dort die Göttin Venus. Wann also ist Nacktheit Kunst und wann Obszonität?
Zudem: Was im Bild nach sexueller Belästigung aussieht, könne man auch ganz anders lesen, sagt Sina. Konzentriert man sich auf Venus’ Gesichtsausdruck und Haltung, sieht sie entspannt aus, friedlich, und vielleicht sogar erregt. Die männliche Perspektive sei die Norm, denn: «Männer malten früher für andere Männer», erklärt Sina weiter. Deshalb solle man die Kunstwerke aus einem anderen Blickwinkel betrachten, das Bild auch aus Sicht der Frauen lesen.
(Bild: Stephanie Caminada)
Mehr als nur Wissenstransfer
«Es war immer ein Wunsch von mir, Museumstouren besuchen zu können, die mir entsprechen», sagt #letsmuseeum-Gründerin Rea Eggli. Eggli ist seit Jahren in der Popkultur zu Hause, hat viele Verknüpfungen in der Szene, produzierte schon zahlreiche Veranstaltungen. Zugänglichkeit, Humor und Unterhaltung sind drei Pfeiler, die in Egglis Arbeit immer wieder auftauchen. Die neuste Produktion in ihrem Repertoire: #letsmuseeum. Ein Hashtag und Englisch – das Rezept für bezeichnende Moderne.
Die Touren von #letsmuseeum sollen mehr sein als ein blosser Wissenstransfer. Eggli möchte ein Publikum erreichen, das nicht schon in der Museumswelt zuhause ist, und diesem die Sammlungen schmackhaft machen. «Jahreszahlen und harte Fakten wird man wenig zu hören bekommen, dafür spannende Details, die die Tourguides selbst interessieren», so Eggli. Denn diese seien keine studierten Kunsthistoriker oder Museumskuratorinnen, sondern selbst deklarierte Fans von spezifischen Museen.
Museen lassen freie Hand
Ich kann die Informationen kaum verarbeiten, bis ich mich mit Sina im nächsten Raum wiederfinde. Da sind Brüste, überall. «Instagram hätte diese Bilder alle zensiert und entfernt.» Man wird sich des Paradoxes bewusst: Früher malte man explizite Bilder, die jetzt Millionen wert sind, während es heute verpönt, gar obszön ist, Nacktheit zu zeigen. Dabei schaut man sich in den Museen unzählige mit Akten behangene Wände an. Immer wieder überrascht Sina mit unerwarteten Details und Denkanstössen. Die Tour hindurch versuchen wir, das Unentdeckte zu entdecken, unsere Sichtweisen zu modifizieren, unser Auge zu schärfen. «Die Museen geben uns ihr Gastrecht und die Carte Blanche, Touren durchzuführen», sagt Eggli. Doch das habe seine Zeit gebraucht, die Schweizer Museen seien nicht daran gewöhnt, Externen freie Hand zu lassen. «Früher mussten wir bei den Museen anklopfen, heute fragen sie uns von sich aus an.» Durch die positiven Erfahrungen habe sich mittlerweile ein Austausch und ergänzendes Miteinander ergeben.
Etwas länger wäre ich gern hier verweilt. Nicht alle Details sind mir hängengeblieben. Bleibend ist aber das Rütteln am Gerüst, die Fragen, die noch offen im Raum stehen. Und so will man zurück. Zurück, um sich über die weisse Fläche von Giacometti zu wundern, die eine Frau darstellen soll. Zurück, um sich ins Blau des einen Porträts zu vertiefen. Zurück zu der Statue, die so wunderbar ist, nicht wegen des Künstlers, sondern wegen seiner Geliebten, die die Details ausgearbeitet hat.