Im Exoskelett durch den Slalom
Die Cybathlon Experience gewährt einen Einblick in die Welt der technischen Assistenzsysteme.
Der Schweiss fliesst beim querschnittsgelähmten Thomas Krieg in Strömen: Der Pilot des Teams VariLeg Enhanced kämpft sich in seinem Exoskelett durch einen Möbelslalom. Für Menschen mit körperlicher Behinderung können alltägliche Aufgaben zum unüberwindbaren Hindernis werden. Die technologischen Grundlagen, um daran etwas zu ändern, sind eigentlich schon seit einer Weile vorhanden, werden aber oft nicht zweckmässig eingesetzt. Diese Lücke will ETH-Professor Robert Riener schliessen. Er hat zu diesem Zweck 2013 das Projekt Cybathlon ins Leben gerufen.
Der Cybathlon ist ein Wettkampf, der alle vier Jahre zwischen internationalen Teams stattfinden soll, die technische Hilfsmittel für Personen mit körperlicher Behinderung entwickeln. 2016 wurde er erstmals in der Swiss Arena in Kloten durchgeführt, 2020 wird an gleicher Stelle die zweite Ausgabe ausgetragen. Sechs verschiedene Typen von technischen Assistenzsystemen müssen sich dabei in einem vordefinierten Parcours behaupten, vier davon waren kürzlich an einem gemeinsamen Event mit Weltklasse Zürich am Hauptbahnhof Zürich vertreten.
Mehr als ein Wettkampf
Im Gegensatz zu den Paralympics gehe es beim Cybathlon in erster Linie nicht darum, die Schnellste oder den Stärksten zu ermitteln. Laut Riener ist es wichtiger, durch die Zusammenarbeit zwischen den Wettkampfteilnehmenden und den Entwicklerteams möglichst funktionelle und alltagstaugliche Lösungen zu finden. Das Regelwerk sei als Kompromiss zwischen Funktionalität, Unterhaltung für das Publikum und Umsetzbarkeit im Alltag zu verstehen. Hierbei geht jedoch der Umgang mit unerwarteten Situationen verloren, wie sie im alltäglichen Gebrauch zu erwarten sind; der Einbau von Überraschungsmomenten ist nur beschränkt möglich. Auch andere Aspekte wie Langzeitperformance und Tragekomfort sind im Wertungssystem nicht direkt abgebildet.
Marktreife Produkte dank Cybathlon
Der Eindruck vor Ort vermittelt, dass der technologische Entwicklungsstand je nach Anforderung an das Gerät extrem unterschiedlich ist. So erscheinen die Greiffunktionen von Armprothesen nahe an dem zu sein, was eine menschliche Hand zu leisten vermag. Daneben kann schon eine kleine Unebenheit im Gelände eine Beinprothese völlig aus dem Tritt bringen. Bei den sensorischen Fähigkeiten, der direkten Verknüpfung von Sensorik und Motorik, wie sie das menschliche Nervensystem bietet, und insbesondere den Schnittstellen zwischen Mensch und technischem System gibt es ebenfalls noch grosses Verbesserungspotenzial.
Das Fazit des Gründers ist aber insgesamt positiv: Laut Riener hat der Cybathlon eine Entwicklung in die richtige Richtung angestossen. So seien bereits einzelne marktreife Produkte entstanden und ganze Disziplinen wie das Fahrradfahren mittels Elektromuskelstimulation hätten sich in bestimmten Kliniken als Therapieformen etabliert.
«Der Welt zeigen, was wir können»
Der Nutzen des Cybathlon erschöpft sich zudem nicht in der technischen Perspektive: «Im Zuge des Cybathlons sind wir in erster Linie Piloten und nicht Menschen mit Handicap», fasst Claudia Breidbach, die seit Geburt über nur einen Unterarm verfügt, ihre Rolle zusammen. Sie ist am Cybathlon Experience für das Team Össur aus Island am Start. «Wir sind stolz darauf, diese Prothesen tragen zu können, um der Welt zu zeigen, was wir leisten können.»