Gefangen in der Warteschleife
Studierende sind unter grossem Druck: Sie sollen neben dem Studieren auch Arbeitserfahrung sammeln. Kann das gut gehen?
Beim ersten Praktikum habe ich gemerkt, dass jene Branche nichts für mich ist. Im zweiten hatte ich zwar Spass und Lernerfolge, aber auch einen zusätzlichen Job, um mir das Praktikum zu finanzieren. Wie so viele Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften habe ich Praktika absolviert. Das erste bald nach der Maturität, das zweite während des Studiums. Laut Career Services der Universität Zürich habe ich somit alles richtig gemacht: Eines meiner Praktika war gar im Ausland und nebst Studium habe ich auch immer Teilzeit gearbeitet.
Arbeitserfahrung bereits während des Studiums zu sammeln, zahle sich aus und ebne den Weg zu einem übergangslosen Einstieg ins Berufsleben. Roger Gfrörer, Leiter der Career Services, bezeichnet ein Praktikum gar als den «unerlässlichen ersten Schritt ins Berufsleben». Der Haken: Trotz meiner vielfältigen Erfahrungen wird mich auch nach abgeschlossenem Studium wohl kaum ein Arbeitgeber mit offenen Armen empfangen und einstellen.
Billige Arbeitskräfte
Dabei sind Praktika als zeitlich begrenzter Einstieg in die Arbeitswelt vorgesehen. Auch eine darauf folgende Festanstellung soll nicht ausgeschlossen sein. Aber mal ehrlich: Das mag vielleicht funktionieren, wenn man eine reiche Tante bei der Bank hat. Ohne viel Vitamin B droht Universitätsabgänger*innen vor allem eins: Eine unbestimmte Anzahl schlecht bezahlter Praktika, je nach Erfolg mit Aussicht auf ein Volontariat oder Traineeship, bei dem man immer noch nicht ganz ernst genommen, aber vielleicht etwas besser bezahlt wird. Doch das Hingehaltenwerden auf eine bessere Anstellung funktioniert; denn andere Op-tionen sind schlicht nicht vorhanden. Was ist man da mehr als eine billige Arbeitskraft?
Es ist schon schwierig genug, wenn man eine klare Vorstellung seiner beruflichen Zukunft hat. Wenn dem aber nicht so ist, wird es zum wahren Albtraum. Vielleicht ist man von seiner Studienwahl nicht hundertprozentig überzeugt. Vielleicht braucht es Zeit, die eigenen Stärken und Interessen zu entdecken. Doch dafür gibt es keinen Raum. Stattdessen sollen wir bereits während des Studiums Arbeitserfahrung in einem relevanten Berufsfeld sammeln und Vollgas geben. Das Sammeln von ECTS-Punkten wird plötzlich zur Nebensache, denn: Was nützt uns ein guter Notenschnitt, wenn wir nicht zumindest einige Jahre Berufserfahrung vorweisen können? Oder was nützt uns eine Erfahrung in einer Branche, in der wir nicht bleiben wollen? Während der Semesterferien im Verlagsbusiness gearbeitet und sich nun auf eine Stelle im Marketing beworben? Pech gehabt – «Wir haben für die Stelle eine besser qualifizierte Person gefunden. Aber wir könnten Ihnen ein Praktikum anbieten.»
Rich-Kids-Club
Zudem hat das Praktika-till-you-drop-System einen elitären Beigeschmack. Viele Studierende können es sich schlicht nicht leisten, während der Semesterferien unbezahlt oder für sehr wenig Lohn zu arbeiten. Studiengebühren, Lebensmittel und Mieten wollen immer noch bezahlt werden. Die wenigsten Hochschulabgänger*innen werden sich ihre Karriere etwa im Service vorstellen. Dennoch ist genau dies eines der «beliebtesten» Arbeitsfelder für Studis – weil die Löhne immer noch höher sind als in manchem Praktikum. Fälle von Kolleg*innen, die trotz Teilzeitjobs während des Studiums nach dem Abschluss keine Stelle oder nicht mal ein Traineeship finden, machen nicht gerade Mut. Selbst nach dem Studium sind viele auf die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. In Zürich von 1500 Franken im Monat leben zu wollen, ist eine Illusion. Wenn sich dann Praktikum an Praktikum reiht, können sich die wenigsten von ihrem Ersparten allein über Wasser halten. Und was, wenn der monatliche Zustupf der Eltern nie eine Option war?
Die Studis von heute sind keineswegs fauler oder unkreativer als die vergangener Generationen. Es ist nun mal einfach schwieriger, einen guten Job zu kriegen. Das ist sehr schade, denn: Viele sind froh, in den Semesterferien etwas Arbeitsluft schnuppern zu können, und freuen sich nach Ende des Studiums auf den Einstieg in die Berufswelt. Denn Studieren mag zwar schön und gut sein, aber vielleicht sehen wir uns nach drei bis fünf Jahren an schummrigen Arbeitsplätzen in der überfüllten Bibliothek eher in einer Sitzung des Social-Media-Teams oder beim Ausmessen eines Tunnels auf dem Bau. Während des Studiums entwickeln wir eigene Vorstellungen von der Welt und Ideen, die wir ausprobieren wollen. Doch bald realisieren wir, dass das niemanden interessiert. «Erst muss du dir mal die Sporen abarbeiten», heisst es. Wenn wir dann lange genug ausgeharrt haben, dürfen wir mit etwas Glück eigene Konzepte einbringen. Doch die leidenschaftliche Sturm-und-Drang-Zeit der Jugend ist bis dann vorbei. Diese interessante Phase in der eigenen Entwicklung hat man stattdessen in diversen Praktika verbraten, wo die eigene Meinung nicht gefragt war.
Her mit den Jobs
Wer nun glaubt, sich dem Praktika-Leiterlispiel widersetzen zu können, hat sich geschnitten. Einerseits müssen wir dankbar sein, überhaupt ein Praktikum, Traineeship oder Volontariat zu haben. Sonst kellnern wir halt weiter. Andererseits brauchen wir uns nichts vorzumachen: Praktikant*innen sind ersetzbar. Du bist nicht ausreichend schnell oder die Chefin nicht genug gefügig? Tant pis, die nächste Person freut sich bereits über deine Stelle. Die ganz freundlichen Arbeitgebenden reiben einem dies zudem gerne unter die Nase. Was ist das Resultat dieses Irrsinns?
Vor der Erfindung von Bologna und der Generation Praktikum ging es im Studium angeblich um tatsächliches Lernen aus Interesse. Natürlich hatten Studierende auch dann schon Teilzeitjobs oder das eine oder andere Praktikum. Doch scheint mir die Entwicklung hin zur endlosen Praktika-Schlaufe problematisch. Trauet man uns etwa nicht zu, Verantwortung zu übernehmen? Wir trauen es uns zu. Wir wollen lernen, wir wollen nach dem Studium arbeiten können – und dafür auch fair entschädigt werden. Ich weiss, dass mir nach meinem Studiumabschluss ein weiteres Praktikum bevorsteht. Das ist aber in Ordnung – schliesslich wird es erst mein drittes sein.
– Illustration: Sumanie Gächter