Bereits im Sommer erprobten sich Klimastreikende an einem mehrtägigen Klimafestival. Timon Graf

Eine Woche streiken

Die Klimabewegung organisiert eine Aktionswoche, um für zwei grosse Demos Ende September zu mobilisieren.

21. September 2019

Eine Kundgebung für den Amazonas vor dem Hauptbahnhof, eine Protestaktion gegen Grossbanken auf dem Paradeplatz, regelmässige Demonstrationsumzüge. Die Klimastreikenden organisieren in der letzten Septemberwoche eine Aktionswoche, die mit Veranstaltungen, Kulturangeboten und politischen Aktionen alles rund um das Thema Klimakrise abdeckt. So finden vom 20. bis zum 27. September an verschiedenen Orten Workshops, Filmvorführungen, Velorundfahrten, Podiumsdiskussionen, Konzerte und Demos statt. Diese Aktionswoche verfolgt das Ziel, Menschen für den Earth Strike am Freitag und die nationale Klimademo am Samstag zu motivieren. Nebenbei soll sie auch das Bewusstsein für einen klimafreundlicheren Alltag schaffen und Entscheidungsträger*innen mit dem Problem konfrontieren. Die Aktionswoche wirft aber auch grundsätzliche Fragen auf: Wie findet gesellschaftlicher Wandel statt? Bewegt sich Fortschritt immer im rechtlichen Rahmen?

Vision einer nachhaltigen Gesellschaft

Probleme wie Lebensmittelverschwendung, naturbelastende Agrarwirtschaft, die Fast-Fashion-Textilindustrie oder die umweltfeindliche Mobilität sind nur der Anfang einer langen Liste, die es in einer nachhaltigen Gesellschaft zu verändern gilt. Einige dieser Probleme integriert die Aktionswoche in ihr Programm. Raum zum Experimentieren schafft etwa das Streikdorf auf dem zum Lokal umfunktionierten Parkplatz beim ehemaligen Lettenbahnhof. Dort sollen klimafreundliche Alternativen zum Konsumrausch in Form von Foodwaste-Mittagessen, Kleidertausch, Plant-Swap, Mahnwachen und Diskussionen gelebt werden. Das sind zwar keine neuen Konzepte, aber Ideen dafür, wie in der Vision einer ökologischen Welt nachhaltiger konsumiert und gelebt werden kann.

In einer nachhaltigeren Welt würde auch bei der Mobilität nicht Schnelligkeit, sondern der «Weg als Ziel» im Vordergrund stehen. Dementsprechend soll der Zug nicht das einzige Fortbewegungsmittel sein, mit dem man nach Bern zur nationalen Demo gelangt. Wie es sich fürs Öko-Klischee gehört, können Fahrradliebhaber*innen auch mit dem nachhaltigsten aller schnelleren Fortbewegungsmittel anreisen. «I bike to move it» organisiert einen gemeinsamen Veloausflug in die Bundesstadt. Am Dienstag startet die Route Relaxed nach Bern und führt über Luzern und das Entlebuch, Stadtbesichtigung inklusive. Für Sportskanonen und E-Biker startet die Route Speedy Gonzales am Samstagmorgen und legt die circa 130 Kilometer in acht Stunden zurück.

Individualebene versus Politik

Mit dem Velo an die Demo, sich der Konsumgesellschaft stellen, nur noch Bio einkaufen oder sich vegan ernähren: Das ist alles wichtig, aber die Veränderungen einzelner Personen sind nicht das Hauptziel des Klimastreiks. Im medialen Diskurs und auf sozialen Netzwerken wird ökologisches Handeln jedoch oft auf die persönliche Ebene reduziert. Janina, Psychologiestudentin an der Universität Zürich und Aktivistin beim Klimastreik, kritisiert diesen Fokus auf das Individuum: «Das ist grundsätzlich der falsche Ansatz. Was auf der Individualebene passiert, ist weniger abstrakt und viel einfacher zu kritisieren.» Das Ziel der Klimastreik-Bewegung sei eine flächendeckende Veränderung.

Alle mobilisieren – aber warum?

Eine solche flächendeckende Veränderung kann aber nur erreicht werden, wenn auch Entscheidungsträger*innen in Politik und Unternehmen mitspielen. Auch dafür mobilisiert die Aktionswoche. So sollen beispielsweise Medien mit öffentlichen Aktionen an ihre gesellschaftliche Verantwortung erinnert oder die Aufmerksamkeit auf das Massensterben von Insekten gelenkt werden. Aber warum ist es nötig, auf Demonstrationen und zivilen Ungehorsam zurückzugreifen, um politisch etwas zu bewirken? Wir sollten doch als demokratische Superlative mit Instrumenten wie Referendum und Initiative auskommen können. Doch Fortschritt kann selbst in einer Demokratie nicht immer im rechtlichen Rahmen stattfinden. Jedes Wahlsystem unterliegt einer gewissen Unvollständigkeit. An bewilligten Demonstration teilzunehmen, ist zwar nur eine Vorstufe des zivilen Ungehorsams, aber eine wirkungsvolle Art und Weise, auf eine Problematik aufmerksam zu machen.

«Wir wollen, dass sich alle Altersklassen wohlfühlen.»
Umweltaktivist Mattia

Dieses Ziel verfolgt auch die Landwirtschaftsdemo «Wir haben’s satt» im Rahmen der Aktionswoche am Donnerstag. Die Demonstration soll die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen und politischen Umdenkens in der Agrikultur zum Ausdruck bringen. Eine ökologische und regenerative Landwirtschaft soll dem fortlaufenden Verlust von fruchtbaren Böden und dem zunehmenden Hofsterben entgegenwirken und eine agrarökologische Wende einläuten. Auch faire Preise für Bäuer*innen sind den Klimastreikenden ein wichtiges Anliegen.

Wer streikt?

An Demonstrationen verschwimmen die Teilnehmenden zu einer grossen, lauten und undefinierbaren Masse, von der man schnell das Gefühl bekommt, es versammle sich gerade die ganze Jugend des Kantons. Das ist aber nicht der Fall, denn wie bei vielen politischen Bewegungen sind auch hier Gymischüler*innen und Studierende in der Überzahl und Berufstätige und Auszubildende untervertreten. Der Klimastreik versuche das Narrativ der akademischen Jugendbewegung jedoch abzulegen, sagt Umweltaktivist Mattia. Erste Massnahmen seien bereits ergriffen: «Wir wollen, dass sich am Earth Strike alle Altersklassen wohl fühlen, deshalb haben wir zwei Besammlungspunkte festgelegt, einen lauteren und einen ruhigeren.»

Ausserhalb der Aktionswoche würden sie vermehrt mit Altersheimen und Gewerkschaften zusammenarbeiten, mit dem Ziel, alle Menschen zu integrieren. Das ist zwar ein guter Ansatz, reicht aber in der Praxis wahrscheinlich nicht aus, um den Radius auf bis anhin Uninteressierte zu erweitern. Initiativen wie die Aktionswoche haben in der Regel den Effekt, in den eigenen Kreisen zu mobilisieren. Wie die unsichtbare Wand der ideologischen Blase überschritten werden kann, ist schwierig vorherzusagen. Denn auch Politiker*innen mobilisieren im Wahlkampf in der Regel nur Wählerschaft, die ihnen bereits gleichgesinnt ist. Vielleicht bleibt nur übrig, darauf zu hoffen, dass diese Grenze mit der zunehmenden Dringlichkeit der Lage von alleine zu verschwimmen beginnt. Der Earth Strike mit der Aktionswoche scheint ein Schritt in die richtige Richtung zu sein.

Neben dem Earth Strike am Freitag in Zürich, der auch das Ende der Aktionswoche bedeutet, findet am Samstag die nationale Klimademo des Wandels in Bern statt. Diese fordert eine konsequente Klimapolitik: den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas sowie einen Investitionsstopp der Schweizer Banken und Versicherungen in klimaschädliche Energiegewinnung.