Eine Bereicherung – aber für wen?
Ein Praktikum ist für viele Studis unumgänglich. Arbeitgebende und Karriereberater*innen erzählen ihre Sicht der Dinge.
Praktikant*innen sind billige Arbeitskräfte für Unternehmen, so der gängige Mythos. Doch für wen ist ein Praktikum tatsächlich ein Mehrwert? Kann es einen gleichwertigen Austausch zwischen Arbeitgebenden und Praktikant*innen geben?
Aus Sicht von Firmen und Beratungsstellen ist ein Praktikum eine Bereicherung für den Betrieb wie auch für den Praktikanten oder die Praktikantin selbst. Indes sind Praktika unterschiedlich definiert und folglich wenig geregelt. Gemäss Roger Gfrörer von den Career Services der Universität Zürich ist ein Praktikum eine zeitlich befristete Anstellung in einem Unternehmen, in dem eine Person ohne spezifische Berufserfahrung in einen oder mehrere Funktionsbereiche Einblick erhält. «Für die Arbeit erhalten Praktikant*innen im Gegenzug Feedback und Weiterbildungsmöglichkeiten.» So könne man schliesslich abschätzen, ob man den entsprechenden Berufsweg weiterverfolgen möchte. Diese Definition eines Praktikums wird aber eher selten aus-serhalb der Seiten eines Lexikons anzutreffen sein, ist sie doch sehr idealisierend. Im Praktikumsalltag sieht es vielfach anders aus.
Praktikum ist Einstellungssache
Jedes Unternehmen und jeder Berufsbereich hat ein anderes Verständnis von Praktika, und die jeweiligen individuellen Vereinbarungen können stark voneinander abweichen. Deshalb ist es essentiell, alles im Voraus mit den Vorgesetzten schriftlich festzuhalten, sagt Gfrörer. Mittlerweile würden Studierende auch auf Ratingtools wie etwa Google-Bewertungen nachlesen, welche Praktikumserfahrungen in bestimmten Betrieben gemacht wurden und was für einen Ruf ein Unternehmen hat. «Bei einem Hotel mache ich ja auch einen Background-Check, ich buche nicht einfach», sagt Gfrörer. So relativieren sich auch die Erwartungen. Ein Praktikum «ist eine Einstellungssache», findet denn auch Solène Wolff von den Career Services der ETH.
Dass sie ihr Praktikum als ausbeuterisch empfänden, würde auch teilweise daran liegen, dass sich viele Studierende ohne bisherige Arbeitserfahrung überschätzten und deshalb von der Praktikumserfahrung enttäuscht seien, sagt Wolff. «Dass einem nicht gleich die grössten Projekte übergeben werden, ist Tatsache.» Nach dem Studium prallt man auf die Realität der Arbeitswelt. In einem Fach gut qualifiziert zu sein, heisse aber noch lange nicht, zu wissen, wie es im Berufsalltag läuft. Das Praktische liege einem fern. Sind die Praktikant*innen dennoch unterfordert im Betrieb, sollen sie selbst mal Initiative zeigen und von sich aus ein Projekt anreissen.
Praktikum zur Selbstfindung
Die Arbeit an sich steht aber auch gar nicht so sehr im Vordergrund. Es gilt herauszufinden, ob einem die Tätigkeiten gefallen, einen Einblick in ein Berufsfeld zu erhalten und auch einen Betrieb kennenzulernen – und das ohne Druck. Für Kulturinstitutionen etwa sei ein Praktikum der «Versuch, in einer anderen Währung zu bezahlen, also Erfahrung gegen Mithilfe zu tauschen», sagt Julia Reichert, Leiterin des Theaters Neumarkt. Schlussendlich sei eine Praktikumserfahrung auch ein wenig Selbstfindung. So sagt Reichert, sie habe von ihrer Zeit als Hospitantin in unzähligen Theatern und Kulturinstitutionen, auch wenn auch nur als Assistentin der Assistentin, «biografisch unglaublich viel profitiert, sogar mehr als vom Studium».
Es bietet sich zudem an, ein Praktikum vor dem Masterabschluss zu absolvieren. Denn aus der Arbeitserfahrung kann man einen «neuen Lern- oder Entwicklungsbedarf ableiten», so Gfrörer. Oder die Richtung noch einmal komplett ändern. Später wird es nicht mehr möglich sein, so viel auszuprobieren.
Ist das nicht Schönreden? Arbeitgebende wollen auch von Praktikant*innen profitieren. Damit es einem Unternehmen wirklich etwas bringt, muss die Person auch leistungsfähig sein. Doch nicht alle Firmen hätten Kapazität und Ressourcen, Praktikant*innen zu bezahlen und auch auszubilden, sagt Wolff. Beratungsstellen scheinen hierbei auf der Linie der Unternehmen zu sein: Erfüllen die Arbeitgebenden, was sie zu Beginn versprochen haben, sei ein tiefer Lohn gerechtfertigt. Eben der Erfahrung wegen.
Praktikum als Rekrutierungskanal
Für viele Firmen bietet sich das Praktikum aber auch als Rekrutierungskanal an. Es kann als vorgezogene Probezeit gehandhabt werden, manchmal winkt im Anschluss gar eine Festanstellung. So zum Beispiel bei der NZZ. «Praktikant*innen sollen bei uns ein Gefühl für die Arbeit im Journalismus bekommen. Sie sollen für sich entscheiden können, ob ihnen die Arbeit gefällt», sagt Carola Ettenreich, Mitglied der NZZ-Chefredaktion. Praktikant*innen würden in den Alltag eingebunden werden und im regulären Dienst arbeiten. Gleichzeitig prüft das Unternehmen das Können, den Einsatz der Praktikant*innen. Stimmt es für beide Seiten, könnten sie bei bestehenden Vakanzen später auch eine Festanstellung in Aussicht stellen, so Ettenreich.
Ausserdem werden Praktikumsstellen auch als «Brandingtool» genutzt, um das Unternehmen als potentiellen Arbeitgeber sichtbar zu machen und zu positionieren. Jeder Betrieb habe von aussen betrachtet ein bestimmtes Image, deshalb sei es umso wichtiger, diesen auch von innen kennenzulernen, sagt Ettenreich. Es sei auch für die Firma eine Möglichkeit zu zeigen, welches Potential in ihr steckt.
Praktikum, eine Exklusiverfahrung
Unterbezahlte Arbeit ist dennoch ein drängendes Problem. Viele können sich ein Praktikum nicht leisten, weil sie sich ihr Leben bereits ohne «Sponsor» finanzieren müssen. Praktikumslöhne reichen da oftmals nicht. Insbesondere bei NGOs muss man sich oft mit einem freiwilligen Einsatz zufriedengeben, bei der UNO gibt es gar Praktikumsstellen, für die man bezahlen muss. So ist diese Arbeitserfahrung in gewissen Bereichen gar nicht allen zugänglich.
Bei Ausschreibungen für Praktikumsstellen wird oft schon Arbeitserfahrung vorausgesetzt. Für Studierende ergibt sich dadurch ein Teufelskreis. An die Arbeitserfahrung kommt man im Studium nur durch ein Praktikum, dieses bleibt einem aber teilweise verschlossen, weil man eben noch keine Berufserfahrung hat. Zu viele Praktika lassen einen dann wieder unentschieden wirken. «Ein Praktikum braucht man aber nicht unbedingt», sagt Gfrörer. Schliesslich gäbe es Alternativen. Auch ein Nebenjob in einem ganz anderen Bereich oder freiwillige Einsätze neben dem Studium zählen als Arbeitserfahrung und zeigen den Arbeitgebenden, dass man «anpacken» kann. Ettenreich sagt, es sei auch immer relevant, wie sich Bewerbungen zueinander verhalten. «Wie engagiert und interessiert zeigt sich jemand?» – auch das zähle.
Für die Beratungsstellen liegt es in den Händen der Praktikantin oder des Praktikanten selbst, wie viel ein Praktikum bringt. Schliesslich erzählt man den Arbeitgebenden eine Geschichte, wie man dahingekommen ist, wo man ist. Ein Märli soll es nicht sein, aber weiss man seine Biografie gut zu präsentieren, kann man drei Praktika oder gar keins gemacht haben. Selbstvermarktung ist das Zauberwort. Unternehmen schätzen bewusste Entscheidungen, also lässt man seine biografischen Ausschweifungen einfach wie stringente Stationen eines geradlinigen roten Faden aussehen.
– Illustration: Sumanie Gächter