Die Leaky Pipeline an der Uni Zürich: Der Frauenanteil schrumpft markant in den höheren Etagen. Adelina Gashi, Noemi Ehrat

Note: ungenügend

Die Uni Zürich hinkt bei der Gleichstellung hinterher. Dabei hätte sie eine eigene Gleichstellungskommission.

19. Mai 2019

Am mathematischen Institut lehren 16 Professoren und zwei Professorinnen. Das Institut für Politikwissenschaft beschäftigt vier Professorinnen und acht Professoren. Immerhin am ISEK (Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft) ist das Geschlechterverhältnis fast ausgeglichen. Von neun Professuren sind vier von Frauen besetzt. Insgesamt sind gerade mal 20,7 Prozent der Professuren an der Universität von Frauen besetzt.

Dabei ist es nicht so, dass zu wenig Frauen an der Uni Zürich studieren würden, genauso wenig mangelt es an fähigen Absolventinnen. Im Jahr 2017 doktorierten 2935 Frauen an der Universität Zürich. Das entspricht mehr als der Hälfte aller Doktorierenden. Aber in hohen Rängen sind Frauen nichts desto trotz untervertreten. Nicht nur als Professorinnen, sondern auch als Dekaninnen oder in der Universitätsleitung. Dagegen versucht die Uni schon seit mehreren Jahrzehnten etwas zu tun. Um genauer zu sein seit 1991, als die Gleichstellungskommission der Universität Zürich gegründet wurde.

Die Gleichstellungskommission berät die Universitätsleitung bei der Umsetzung des Verhaltenskodex «Gender Policy» und fördert Massnahmen, um ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in der Wissenschaft zu erreichen. Obwohl es langsam voran geht, konnten schon Erfolge verzeichnet werden. An der Philosophischen Fakultät war das Dekanat jahrelang von Männern besetzt. «Durch das Ausarbeiten von Führungsmodellen in Zusammenarbeit mit der Fakultät, die diesen Missstand selbst beklagte, konnten wir hier eine Umstrukturierung bewirken», sagt Christiane Löwe, Leiterin der Abteilung Gleichstellung und Diversität und Mitglied der Gleichstellungskommission der Universität Zürich.

Ausgewogenheit der Geschlechter sichern

Der Jahresbericht der Uni Zürich von 2018 hält dennoch fest, dass das «Ziel der ausgewogenen Vertretung beider Geschlechter bisher nicht in allen Funktionen und Gremien erreicht werden konnte.» Laut Christiane Löwe liege das daran, dass an Männer und Frauen noch immer unterschiedliche Erwartungen gestellt werden: «Die Wissenschaft ist männlich konnotiert. Gesamthaft betrachtet haben es Männer leichter, die Erwartungen, die auch teilweise Stereotype sind, zu erfüllen. Bei Männern sieht man eher das Potential, während Frauen mit bereits vorhandenen Kompetenzen überzeugen müssen.»

Für Löwe sei es wichtig, dass man sich der «unconscious biases» bewusst werde und sie am besten vermeidet. «Viele Frauen trauen sich noch immer weniger zu als viele Männer.» Gleichzeitig soll die Gleichstellungskommission Strukturen schaffen, um solche Mechanismen auszuhebeln. In dem sie Berufungsprozesse von Professuren beobachtet, versucht sie ein faires Verfahren sicherzustellen. «Indirekt geht es dabei natürlich auch darum, eine Ausgewogenheit der Geschlechter zu erreichen», sagt Löwe.

Den 14. Juni 2019, den nationalen Frauenstreiktag, sieht Löwe als Gelegenheit für die Angehörigen der Uni, um auf die generellen Probleme in der Gleichstellung von Mann und Frau aufmerksam zu machen.

Uni-Alltag statt Streik

Wie andere Unis hat auch die Uni Zürich kürzlich «Regelungen zum Frauenstreik» an alle Mitarbeitenden der Uni verschickt. Das E-Mail fordert Verständnis für die Aufrechterhaltung des universitären Betriebs am Tag des Streiks. Eine allfällige Teilnahme am Streik soll frühzeitig mit den entsprechenden Vorgesetzten abgesprochen werden, heisst es weiter.

Angesprochen auf das Schreiben, meint Löwe, dass sie verstehe, dass man die Mitarbeiterinnen bei einer allfälligen Teilnahme am Streik dazu anhält, dies zuvor mit den Vorgesetzten abzusprechen.

Anna-Lea Imbach, Gewerkschaftssekretärin Sektion Lehrberufe des VPOD (Verband des Personals öffentlicher Dienste) Zürich, vermutet, dass die E-Mail eine Reaktion auf einen Brief der VPOD sei. «Wir haben einen Brief an alle Schulen und Lehrinstitutionen verschickt, und gebeten, dass keine Sanktionen gegen Streikende ausgesprochen werden.» Zudem sollen am 14. Juni keine Prüfungen stattfinden. «Wir betonen aber, dass man für einen Streik keine Erlaubnis vom Arbeitgeber braucht», sagt sie.

Eigenverantwortung abschieben

In ihrem E-Mail geht die Uni zudem auf das eigene Engagement für die Gleichstellung ein. «Gleichstellung und Diversität sind wichtige Anliegen der Universität Zürich», heisst es. Angestellte würden sich mit «Entschlossenheit und Kreativität» für geschlechtergerechte Arbeitsbedingungen einsetzen. Zum Schluss verweist das Schreiben, das von Vize-Rektorin Gabriele Siegert unterzeichnet ist, auf das Gleichstellungsmonitoring der Uni. Wenn man sich für den Stand der Entwicklung der Uni im Hinblick auf Gleichstellung interessiere, könne man im Monitoring entsprechende Daten nachlesen.

Für Imbach wirkt dies nicht überzeugend. «Der Verweis auf die eigenen Massnahmen ist schwach», sagt sie. «Statt den Streik zu nutzen, um das eigene Verhalten zu reflektieren, schiebt die Uni so die Eigenverantwortung ab.»

Sibylle Dorn, Co-Präsidentin der VIP (Vertretung des administrativ-technischen Personals der Uni Zürich), sieht dies ähnlich: «In den ersten zwei Zeilen des Briefs äussert sich die Uni positiv zum Frauenstreik, danach ist er analog wie derjenige der Zürcher Stadtverwaltung formuliert.» Immerhin sei schriftlich festgehalten, dass es keine negativen Folgen für Streikende geben werde. «Das ist als gutes Signal zu werten», so Dorn.

Uni Basel zeigt sich verständnisvoller

Doch nicht alle Universitäten reagieren wie Zürich. Die Uni Basel schreibt in einem ähnlichen Mail an alle Mitarbeiterinnen etwa, dass den Mitarbeiterinnen «im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten eine Teilnahme ermöglicht werden» soll. Vorgesetzte sollen Mitarbeiterinnen, die streiken wollen, frei geben oder die Einsatzplanung entsprechend anpassen, schreibt Verwaltungsdirektor Christoph Tschumi. Eine Teilnahme am Streik hat aber auch laut der Universität Basel «ausserhalb der Arbeitszeit zu erfolgen». Laut Imbach ist die Wortwahl etwas irreführend. «Der Frauenstreik ist kein Fest, an dem man ‹teilnimmt›», sagt sie. Denn es gehe um inhaltliche Forderungen, die umgesetzt werden sollten.

Obwohl die Uni Zürich seit Jahrzehnten eine Kommission hat, die sich für die Gleichstellung von Frau und Mann einsetzt, zeigt das Schreiben, wie wenig sich bis heute verändert hat. Es scheint wie eine Alibiübung. Die Universität Zürich gibt sich zwar fortschrittlich, wenn es um Gleichstellungsfragen geht. Die Verantwortung für die mangelnde Verbesserung schiebt sie aber auf die Gesamtgesellschaft und das patriarchale System ab – dies scheint eine bequeme Lösung zu sein, aber keine nachhaltige.

In der Ausgabe #3/19 wird durchgehend das generische Femininum verwendet. Anlass ist der nationale Frauenstreik vom 14. Juni, der Thema dieser Ausgabe ist.