Ein Tonträger aus Kochgelatine ist gezeichnet von den Spuren der Zeit. Stephanie Caminada

Dialekte auf Bienenwachs und Gelatine

Im Hauptgebäude der Uni befindet sich das älteste Tonarchiv der Schweiz. Es sammelt Mundartaufnahmen aus allen Sprachregionen.

19. Mai 2019

Seit 1909 haben sich im Archiv circa 4'500 Tonträger mit Sprachaufnahmen angesammelt. Damals forderte der Germanistik-Prof Albert Bachmann ein Aufnahmegerät aus Wien, einen sogenannten Phonographen, an. Er wollte damit Sprachaufnahmen für seine Forschung machen. Das Gerät bewährte sich. Und so wurde 1913 ein Archiv gegründet.

«Das Phonogrammarchiv hat sich auf die Schweizer Dialekte spezialisiert», sagt Archivleiter Dieter Studer-Joho. Dazu gehören nicht nur die vielen Deutschschweizer Dialekte, sondern auch die der anderen Sprachgebiete: Die Westschweizer Patois, die lombardischen Dialekte des Tessins und die rätoromanischen Dialekte.

Digitalisierung der Tonträger

Die Bestände des Archivs befinden sich im obersten Stock des Hauptgebäudes, aber auch im Bunker der Uni. Dieser Ort ist kühl und feucht und darum nicht gerade als Archiv geeignet. Die Tonträger und Aufnahmegeräte werden deshalb bald in einen geeigneteren Raum verlegt. Gegenwärtig sei das Ziel des Archivs, die Dialektaufnahmen, die sich auf den Tonträgern befinden, zu digitalisieren, sagt Studer-Joho. Das sei in manchen Fällen nötig, denn einige der Tonträger seien fragil und könnten nicht mehr unbegrenzt abgespielt werden, da sie immer weiter abgenutzt würden. Ein Vorteil des «digitalen Wunders» ist es, sich die Aufnahmen überall anhören zu können. Musste Bachmann 1909 noch aufwändige Korrespondenzen mit Wien führen, um an seine Aufnahmen zu kommen, hat heute jede die nötige Technologie in der Hosentasche.

«Sprachwandel ist natürlich»

Bevor es die uns bekannten Vinylplatten und Kassetten gab, wurde Ton auf Bienenwachs, Gelatinefolien und Schellack, einem aus Läusen gewonnenen Stoff, aufgenommen. Dass man Ton auf tierischen Erzeugnissen aufzeichnete, mutet heute eigenartig an. Es hat aber etwas Faszinierendes, die hauchdünne Platte aus Kochgelatine vor sich zu sehen, auf der sich die Stimmen von Menschen des letzten Jahrhunderts befinden.

Die meisten Deutschschweizer Dialekte sind im heutigen Gebrauch immer noch relativ intakt. Das Patois der Westschweiz hingegen befand sich bereits im 19. Jahrhundert im Rückgang. Es wurde zugunsten des Französischen regelrecht ausgetrieben. «Es galt als hinterwäldlerisch und unmodern. In der Schule gab es Schläge, wenn man Patois sprach», so Studer-Joho. Sprachwandel soll aber nicht negativ gewertet werden. Er sei etwas Natürliches. Man könne die Leute nicht zwingen, ihren Dialekt beizubehalten. Zu diesem Zweck werden die Dialekte schliesslich dokumentiert, damit man sich die Stimmen der Vergangenheit auch in Zukunft noch anhören kann.

In der Ausgabe #3/19 wird durchgehend das generische Femininum verwendet. Anlass ist der nationale Frauenstreik vom 14. Juni, der Thema dieser Ausgabe ist.