Videoex-Festival: Aus der Nische auf die Leinwand
Film — Es gibt Veranstaltungen, ohne deren Existenz eine bestimmte Kunstrichtung keine Heimat hätte. Ohne die banalen Grossfestivals wäre das Gedröhne von Macklemore längst verschwunden, ohne Street Parade keine Love-Mobile-Raves und ohne Boschbar keine montäglichen Konzerteskapaden. Genauso verhält es sich mit dem Videoex-Festival in Zürich und dem Experimentalfilm. Seit 21 Jahren zeigt das Videoex ausschliesslich experimentelle Werke an der Schnittstelle zwischen Unterhaltung und Kunst. Patrick Huber leitet das inzwischen schweizweit einzigartige Festival und kennt dessen aussergewöhnliche Stellung: «Durch das Nischendasein nimmt das Videoex einen institutionellen Charakter an», sagt er. «Für viele Leute in diesem Genre hat es eine spezielle Bedeutung.»
Das diesjährige Festival findet vom 25. Mai bis zum 2. Juni auf dem Kasernenareal in Zürich statt. Auf dem Programm stehen über 150 Filme, ein internationaler und ein Schweizer Wettbewerbs, sowie Live Acts und Workshops. Mit dem Gastland Brasilien will das Videoex die über 50-jährige experimentelle Filmszene des südamerikanischen Landes in den Fokus rücken. «Vor der Militärdiktatur in den Sechzigerjahren gab es in Brasilien eine extrem spannende Kulturszene», erklärt Huber. Zu dieser Zeit wurden die kulturellen Einflüsse aus Westeuropa und Nordamerika «aufgefressen» und «kannibalisiert», um daraus die Tropicalismo-Bewegung zu kreieren. So wurde zum Beispiel Psych-Rock mit brasilianischen Rhythmen gespielt. «Das Gleiche, also dieses Kannibalisieren, geschah in der Kunst-, Theater- und eben in der Filmszene», sagt Huber. Das 21. Videoex stellt dazu mehrere Werke vor, unter anderem ein Porträt von Hélio Oiticica, einem der Hauptexponenten des Tropicalismo. Neben den Filmen aus den Sechzigern werden auch zeitgenössische Streifen zu sehen sein, die den Bogen zur aktuellen politischen Lage spannen. Dabei zeigen sich durchaus Parallelen: Mit dem misogynen, rechtsnationalen Jair Bolsonaro hat Brasilien einen Präsidenten, der die Militärdiktatur in den höchsten Tönen lobt.
Am Videoex kommt auch der Schweizer Experimentalfilm nicht zu kurz. Im diesjährigen Scheinwerferlicht steht der Künstler, Archäologe und Filmemacher Uriel Orlow. Seine Werke sind multidisziplinär, neben Filmen arbeitet er auch mit Fotografien, Zeichnungen und Klängen. «Orlows Werke behandeln blinde Flecken der Geschichte und gehen der Frage nach dem kolonialen Erbe nach», erklärt Huber. In der vierteiligen Programmserie «Theatrum Botanicum» spielen Botanik, traditionelle Heilkunde und das kolonialisierte Südafrika die Hauptrollen. Der Kurzfilm «The Future is History/History is the Future» zeigt im Suezkanal gefangene Frachtschiffe und eine russische Geisterstadt. Ein weiterer Höhepunkt ist das Programm zur US-amerikanischen Pionierin des experimentellen Queer-Kinos Barbara Hammer. «Ihre Filme waren die ersten überhaupt, in denen lesbische Beziehungen und Gender-Rollen offen thematisiert wurden», sagt Huber. Das Festival präsentiert zum ersten Mal in Zürich ihre Kurzfilme aus den 1970er- bis 1990er-Jahren, darunter «Menses», «Superdyke» oder «The History of the World According to a Lesbian».
Dank der sorgfältigen Auswahl des Videoex-Festivals wird Zürich während neun Tagen zum Experimentalfilm-Mekka. Müsste sich Patrick Huber für drei Filme entscheiden, dann wären dies das Porträt «Hélio Oiticita», «Ultramarine» von Vincent Meessen und «Hiatus» von Vivian Ostrovsky. «Das sind aber nur drei der Perlen, die wir zeigen.»