Bricht mit dem Körper als Einheit: das Werk von Sarah Magnetti im «Last Tango» Stephanie Caminada

Zürcher Kunst-Odyssee

Der Zurich Art Space Guide listet nichtkommerzielle Kunsträume auf. Eine Erkundungstour.

14. April 2019

Du schnappst dir einen Zurich Art Space Guide und dein Velo und begibst dich auf Erkundungstour. Du willst herausfinden, ob der Zurich Art Space Guide hält, was er verspricht. Du weisst, dass die Galerien im Zurich Art Space Guide «Off-Spaces» genannt werden, also von Kunstschaffenden selbstorganisierte Ausstellungsräume sind, die keine kommerziellen Ziele haben und somit Projekte ermöglichen, die an anderen Orten keinen Platz fänden. Auch hast du gelesen, dass die Kunstwerke anderswo nicht verkauft würden. Diese Orte sind somit beispielsweise wichtig für Kunstschaffende, die experimentelle Kunst schaffen, die in einer Galerie nicht ausgestellt werden würde. Der Guide dient dir als Überblick über diese Off-Spaces in Zürich. Der einmal pro Jahr erscheinende Guide ist zum Glück gratis.

Tanz der Gefühle

Am Limmatplatz vorbei strampelst du zur Gasometerstrasse, wo sich der Off-Space «Last Tango» befindet. Hier sind gerade Kunstwerke der belgisch-schweizerischen Malerin Sarah Margnetti und der kanadischen Performance-Künstlerin Megan Rooney ausgestellt. Tango heisst der Off-Space weil er die Kunst jeweils zweier Kunstschaffender wie bei einem Tanz einander gegenüberstellt. Aber ein Besuch dort ist auch ein Tanz der Gefühle. Die senfgelben Gemälde, auf denen Ohren und Nasen dargestellt sind, berühren dich wenig, aber im nächsten Raum findest du dein Glück, oder besser gesagt deine Abgründe: In der Mitte des Raumes steht eine Installation mit gefüllten und bemalten Stoffsäcken, die vor Körperlichkeit strotzt. Normalerweise kannst du mit so was nicht viel anfangen, aber sobald du im Raum bist, hast du ein beklemmendes Gefühl, das dich so schnell nicht mehr loslassen will. Dann schwingst du dich wieder auf deinen Drahtesel und weiter geht's.

Der nächste Halt liegt an der Klingenstrasse. Dort möchtest du den Off-Space «Material – Raum für Buchkultur» anschauen. Kunst und Bücher – die Vorstellung gefällt dir. Leider stehst du vor verschlossener Tür. Jetzt verstehst du den Rat deines Mitbewohners: «Schau immer, ob gerade etwas läuft. Oft sind die Öffnungszeiten begrenzt und es gibt nicht immer eine Ausstellung.» Wo er recht hat, hat er recht.

"Letters I Didn't Send" von Jenny Rova im Kunstraum Walcheturm. Noemi Ehrat

"Letters I Didn't Send" von Jenny Rova im Kunstraum Walcheturm (Bild: Noemi Ehrat).

Kunst im Schaufenster

Den Off-Space «Die Diele» erreichst du, wenn du von der Langstrasse in die Sihlhallenstrasse abbiegst. Wo gibt’s hier Kunst? Überall und nirgends, und ganz besonders konzentriert in zwei unscheinbaren Schaufenstern. Zuerst suchst du eifrig nach einem Eingang, überzeugt, die Schaufenster seien eine Art Vorgeschmack auf das Eigentliche. Es stellt sich heraus: Sie sind der Off-Space. Das ergibt natürlich Sinn. Die Ausstellung heisst nämlich «A Decorated Room with Invaded Ideas ‹Fernweh Fernseh›». Auf dem einen Schaufenster steht gross «FERNWEH», auf dem zweiten «FERNSEH». Es ist eine Installation mit Gedichten, Zitaten, Objekten und Bildern zu sehen. Den Passanten fallen die Schaufenster nicht auf. Einen Moment denkst du – von der Installation inspiriert – über Heimat nach und was das Wort bedeutet. «Home is where one’s day can be answered with ‹nothing›», steht auf dem Schaufenster.

Von Liebe und sozialen Medien

Zum Verweilen lädt der Ort dann doch nicht ein, und du machst dich auf den Weg, zum vierten und vorerst letzten Off-Space auf deiner Tour, dem «Kunstraum Walcheturm» beim Kanzleiareal. Dieser ist tatsächlich ein Ort zum Verweilen, denn es gibt eine Fülle von Kunstwerken anzuschauen. Die Ausstellung heisst «Love in the Time of Social Media» und zeigt Werke von internationalen Kunstschaffenden. Besonders gefällt dir die Installation der in Zürich lebenden, aber aus Uppsala stammenden visuellen Künstlerin Jenny Rova: «Letters I Didn’t Send». Wie der Titel sagt, hat sie nie versendete persönliche Briefe als Installation auf dem Boden angebracht, zusätzlich hängen Fotografien der Briefe an der Wand.

In einem weiteren Raum werden Filme gezeigt, die in drei Kategorien eingeteilt sind. Die Unterteilung basiert auf den drei verschiedenen Formen der Liebe im antiken Griechenland: Eros, Philia und Agape. Gerade läuft ein französischer Film mit dem Titel «Utopies». Als der Film zu Ende ist, gehst du raus auf die Wiese vor dem Gebäude und versuchst, die vielen Eindrücke zu verdauen.

Du hattest in allen drei Off-Spaces, die du besucht hast, viel Platz und Zeit. Zudem wurdest du kaum von Regeln eingeschränkt. Durch diese Freiheiten konntest du dich ganz der Kunst hingeben – und neue Zugänge zu dir sonst suspekten Werken finden. Zum Glück sind noch vierunddreissig weitere Off-Spaces im Zurich Art Space Guide aufgelistet, die erkundet werden möchten und dir Zürich von einer anderen Seite präsentieren. Dies aber nicht ohne vorherige Überprüfung der Öffnungszeiten.