Christian Bale als skrupelloser Vizepräsident Dick Cheney. @Annapurna Pictures

Selbstvergewisserung im zynischen Gewand

Der Film «Vice» verspricht mehr, als er einlöst. Die Geschichte des ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney wird stilsicher erzählt, aber nicht erklärt.

26. Februar 2019

«Vice» war achtmal für den Oscar nominiert, gereicht hat es nur für das beste Make-up. Auch bei den Golden Globes gab es nur einen Preis – immerhin für Hauptdarsteller Christian Bale. Bei der Entgegennahme der Trophäe dankte Bale Satan höchstpersönlich als Inspiration für seine Darstellung Dick Cheneys. Das kann man nun mehr oder weniger lustig finden, es sagt mehr über «Vice» aus, als Bale wohl beabsichtigt hat. Mit einem gewissen wohligen Grausen porträtiert das satirische Biopic den Skandal der absurden Machtfülle, die Dick Cheney als Vizepräsident der USA von 2001 bis 2009 zukam. Wie wird Cheney, was er ist? «Vice» scheint in dieser Hinsicht einen psychologischen oder politischen Erkenntnisgewinn zu versprechen – ein Versprechen, das nicht eingelöst wird.

Steiler Aufstieg, erhebliche Schwächen

Cheneys Laufbahn beginnt in den Sechzigern: Als junger, dauerbetrunkener «Tunichtgut» und «Idiot» bringt er es aus mangelnder Disziplin zu nichts. Erst durch Einwirkung seiner Frau Lynne findet er auf seinen Weg zurück. Danach die bekannten Stationen: Cheney als Lakai von Donald Rumsfeld, glücklose Versuche als Präsidentschaftskandidat, sein Wirken als CEO eines Erdölkonzerns, die folgenreiche Vizepräsidentschaft unter George W. Bush. Der Film nimmt sich Zeit, um darzulegen, welche Winkelzüge es ermöglichen, das grösstenteils symbolische Amt des Vizepräsidenten zum eigentlichen Herz der Macht der US-Regierung zu transformieren.

Spätestens hier zeigen sich Schwächen. Der Film kennt zwar alle Zwischenschritte bis zu Cheneys Entfaltung historisch nie gekannter Macht, aber er versteht diese nicht. Cheneys Schachmanöver werden in einer Nummernrevue, einer Art «Worst of» gereiht, ohne dass deren Möglichkeitsbedingungen verständlich würden. So sind in «Vice» die Verflechtungen von Politik und Industrie Resultat des Zynismus der Protagonisten – die umgekehrte Erklärungsrichtung kommt nicht ernsthaft in Betracht.

Unfertiges Bild

Genau so wenig versteht der Film von den Mechanismen von Propaganda und Wahlpolitik. Der rechte Nachrichtensender «Fox News», dessen Gründer Roger Ailes und der republikanische Parteistratege Frank Luntz werden nur eingeführt, um abgehakt zu werden. In einer Szene sehen wir, wie Luntz die banale Erbschaftssteuer zur unheimlichen «Death Tax» umdeutet. Doch der Film reflektiert den entsprechenden mediengeschichtlichen Moment nicht ernsthaft. Die Episode ist bloss ein weiteres Puzzleteil im grossen Plan von Cheney und Konsorten.

Zurück zu Satan: Das schrittweise Aufgehen eines zwielichtigen Plans lässt Cheney tatsächlich als diabolischen Trickster erscheinen. Damit falsifiziert der Film seine Behauptung, sich um psychologische, politische und sozialgeschichtliche Erklärung zu bemühen. Versatzstücke eines Psychogramms werden in Stellung gebracht, ohne sich zum schlüssigen Bild zu fügen. Wir wissen am Schluss immer noch nicht, was Cheney antreibt. Solchen Versäumnissen ist es geschuldet, dass «Vice» zwar so tut, als sei er nahe am geschichtlichen Ereignis, schlussendlich aber nur formelhaft die archetypische Story des Aufstiegs eines Machtmenschen wiedergibt. Dass der Film um seine Ratlosigkeit gegenüber dem Mann Cheney weiss, ja diese sogar ironisch zur Schau stellt, schafft sie nicht aus der Welt. Die Ratlosigkeit gegenüber dem spezifischen historischen Moment wiegt schwerer. Hier kompensiert der Film analytische Mängel im Skript mit an Scorsese-Filmen geschulter Eleganz und glänzendem Schauspiel.

Gelungene Besetzung, hilflose Analyse

Christian Bales Verwandlung etwa ist nahezu unheimlich. Die Besetzung von Steve Carell als Donald Rumsfeld ist ein Wagnis, das sich auszahlt. Das Sahnehäubchen der Besetzung ist jedoch Sam Rockwell, der seinen George W. Bush als tragikomische Dumpfbacke gibt, die ihre Unsicherheiten und Sehnsucht nach Anerkennung unter einer fast aggressiven Launigkeit verbirgt. Das psychologisch rundeste Porträt liefert Amy Adams, die eine unterkühlt würdige Lynne Cheney gibt. Deren unermüdlicher Kampf um die Karriere ihres intellektuell offenkundig unterlegenen Ehemannes erhellt sich aus der Kränkung, dass ihr als Frau die Möglichkeit einer vergleichbaren Laufbahn vorenthalten wurde.

Der Film stemmt sich gegen die Rehabilitierung von Gestalten wie Bush, Cheney und Rumsfeld, die nun vor der Abgrenzungsfolie Donald Trumps einigermassen brav ausschauen. Demgegenüber wird die Kontinuität in der Geschichte der Republikanischen Partei unterstrichen: Ein Einspieler zeigt, dass schon Präsident Reagan Slogans wie «Make America Great Again» benutzte.

Wahrscheinlich ist «Vice» trotz der abgefeimten und durchästhetisierten Oberfläche ein Dokument der Hilflosigkeit gegenüber dem wüsten Fiebertraum zeitgenössischer US-amerikanischer Politik. In einem ganz anderen tonalen Register angesiedelt, erweist sich der Film als emotional indirekterer und stilsichererer Cousin der jüngeren Saturday-Night-Live-Sketche, die häufig nicht über ein blosses Nachspielen des Tagesgeschehens hinausgelangen. Händeringend wiederholen sie immer wieder: «Oh my God, this is real, this is actually happening, I am not insane.»