Bald alles digital? Die Uni will die Bibliothek nicht mit Büchern füllen. Noemi Ehrat

Die Bibliothek wird durchgeboxt

Die Universität Zürich schenkt kritischen Stimmen kein Gehör. Dabei hätten diese Wichtiges zu sagen.

24. Februar 2019

Im November 2016 erfährt der Fachverein Musikwissenschaft, dass die Universitätsleitung verschiedene Fachbibliotheken auflösen und zentralisieren will. Die Studierenden fürchten um ihre Notenarchive und Tonsammlungen. Sie schreiben einen Brief an die Universitätsleitung, diese möge ihren Plan überdenken. Prorektor Christian Schwarzenegger, Leiter des Projekts «Bibliothek der Zukunft», bittet in seiner Antwort um Geduld. Die Universitätsleitung werde dafür sorgen, dass die internen Anspruchsgruppen angemessen in das Projekt miteinbezogen würden.

Fehlinformationen und Ausreden

Nach diesem Briefwechsel unternahm die Projektleitung lange Zeit nichts. Erst ein knappes Jahr später, im Oktober 2017, informierte sie an einem «Meet and Greet» erstmals öffentlich über das Projekt. Die Veranstaltung kam schlecht an: Profs sowie Studis machten ihrem Unmut Luft, derart spät über ein Projekt informiert zu werden, das bereits seit einem Jahr in Planung war. Bei der zweiten Infoveranstaltung war ausserdem kaum Zeit für Fragen und Diskussionen vorhanden. In Positionspapieren und gegenüber den Medien verteidigten Profs und Studis ihre Institutsbibliotheken. Und sie forderten mehr Mitsprache bei Entscheidungen, die aus ihrer Sicht Forschung und Lehre grundlegend verändern würden.

Die Projektleitung zeigte wenig Verständnis für die öffentliche Kritik. In einem Streitgespräch, das im «UZH-Journal» 3/18 abgedruckt wurde, kritisiert Schwarzenegger, wie viele Fehlinformationen in den Medien verbreitet und mit welcher Emotionalität diskutiert worden sei. Die Empörung, mit der in Tageszeitungen über die «Bibliothek der Zukunft» berichtet wurde, war tatsächlich grösser als die Faktentreue. Im Fokus standen die Werte, die mit Büchern verknüpft sind; erzählt wurde die Geschichte einer kalten Chefetage, die sich über diese Werte hinwegsetzt. Die Projektleitung hat dazu aber selbst beigetragen. Einerseits hat sie erst spät über das Projekt informiert. Andererseits begegnete sie konkreten Fragen mit der Ausrede, es sei ein Vorprojekt, man könne dazu noch keine Aussage machen.

Forderung nach mehr Mitsprache

Diese Geheimniskrämerei stört viele Betroffene. Er habe kein grundsätzliches Problem mit der räumlichen Zusammenführung, wie sie auf dem Schanzenberg geplant sei, sagt Christoph Riedweg, Professor für Gräzistik. «Wenn man Dinge bündelt, kann das auch Synergien schaffen. Die Budget- und Bestellhoheit muss aber bei den Fachexpert*innen bleiben. Was mich skandalisiert hat, ist, wie dieses Projekt aufgezogen wurde; dass man zunächst informell eine Zusammenstauchung der Stellflächen der geisteswissenschaftlichen Fachbibliotheken angedacht hat, bevor das Gespräch mit den Betroffenen überhaupt aufgenommen wurde.»

Alibi-Umfrage zum Projekt

Die Projektleitung betont oft, dass die «Bibliothek der Zukunft» erst in Grundzügen geplant sei. Das entspricht nicht den Tatsachen. Bereits im April 2017 wurde der Verein des Infrastrukturpersonals der Universität um Stellungnahme zum Projekt gebeten. Aus seiner Antwort lässt sich erkennen, dass die Eckpfeiler des Projekts schon damals gesetzt waren. Der Verein kritisierte, dass eine organisatorische Zentralisierung als einzige Zukunftsstrategie für die Bibliotheken der Uni präsentiert wurde. Er empfahl zudem, die Studierendenmeinungen in einer «gross angelegten Umfrage» einzuholen.

Die Umfrage, die die Projektleitung im Herbst 2017 durchführte, erreichte bloss 1'552 Universitätsangehörige. Konkretes zum Projekt wurde nicht gefragt. Erst im Herbst 2018 wurde den Nutzenden der Bibliotheken die Möglichkeit gegeben, sich zum Projekt zu äussern. Das Projekt ruht nun, bis die Antworten der Institute, Fakultäten und Ständevertretungen ausgewertet sind. In diesen Auswertungsprozess sind auf Druck der Studierenden hin auch Ständevertretende involviert. Der Grundriss für das neue Unigebäude, wohin bis 2027 ein erster Teil der Institutsbibliotheken umplatziert wird, zeigt: Lernplätze sind beinahe alle in Grossräumen und getrennt von Bücherbeständen vorgesehen.

Wenig Verständnis trotz Anpassung

Die Vernehmlassung zeige, dass viele Studierende, Forschende und Mitarbeitende die Stossrichtung des Projekts unterstützen, sagt Prorektor Schwarzenegger. Innerhalb der bereits gesetzten Raumaufteilung bestehe auch durchaus noch Spielraum. «Im Moment werden die Bedürfnisse genauer definiert.» Im Hauptprojekt werde es dann darum gehen, berechtigte Anliegen im Rahmen eines modernen Bibliothekssystems zu berücksichtigen.

«Bisher hat man ja eher den Eindruck gewonnen, dass da Einwandsbehandlung betrieben wird», sagt Japanologieprofessor Raji Steineck, der die Philosophische Fakultät im Steuerungsauschuss des Projekts vertritt. «Das reicht einfach nicht aus. Es braucht jetzt ein klares Signal der Projektleitung, dass sie bereit ist, auf die Bedürfnisse derjenigen Fächer einzugehen, für die Bibliotheken der primäre Ort der Wissensgewinnung sind.» Auch Riedweg argumentiert für einen Richtungswechsel. «Man kann nicht die von Fach zu Fach sehr unterschiedlichen Bedürfnisse einfach über einen Kamm scheren.»

Steineck blickt dem Projekt dennoch optimistisch entgegen. «Wir sind eine Wissenschaftsorganisation, da sollten Argumente zählen, und es sollte Möglichkeiten geben, dass man das miteinander verhandelt.» Laut Schwarzenegger habe es diesbezüglich schon Anpassungen in gegeben. Eine Studentin ist weniger zuversichtlich: «So wie der Prozess bis jetzt lief, kann ich mir nicht vorstellen, dass es plötzlich viel besser kommen soll.»

Mai Freigang ist Mitglied der AG Bibliotheken, die sich für mehr studentische Mitsprache einsetzt.