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Russischer Punk

25. November 2018

In «Leto» entführt Regisseur Kirill Serebrennikov in die triste Aussichtslosigkeit, mit der Rockmusiker und Rockmusikerinnen im Leningrad der frühen Achtzigerjahre zu kämpfen hatten. Eindrücklich wird der starke Freiheitsdrang einer jungen Generation in stimmungsvollen und poetischen Schwarzweissbildern eingefangen. Gelegentlich unterbrechen zeitgenössisch anmutende Animationen die analoge Ästhetik, in denen sich die filmische Realität mit der Fantasie der Akteure und Akteurinnen vermischt. Schlägereien, aufregende Tramfahrten, ja sogar Morde geschehen, werden danach aber als reines Fantasieprodukt der Protagonistinnen und Protagonisten entlarvt.

Was Serebrennikov mit diesen wenigen fiktiven Einschüben sagen will, bleibt offen. Klar ist aber: Eine historisch korrekte Darstellung bezweckt er mit «Leto» nicht. Vielmehr lebt sein Film von verdammt guter Musik und dem Alltag der jungen Sowjetbürger und Sowjetbürgerinnen, die gemeinsam den Ausbruch aus einem starren System suchen. Dabei wird die Geschichte vor allem von den erstklassigen Leistungen der Schauspieler und Schauspielerinnen getragen – die eigentliche Handlung bleibt langatmig und die Liebesgeschichte ist ziemlich klassisch und damit schon früh vorhersehbar.

Trotzdem: Die ambivalente Beziehung zwischen Ost und West anhand von Musik aufzuzeigen, ist erfrischend anders. Es ist nicht Politik, sondern die Lebenswelt von Menschen, die sich nach Musik, Freiheit und künstlerischem Ausdruck sehnt. Alles in allem ist «Leto» ein herrlich stimmiger Film, der allein schon seines Soundtracks wegen unbedingt seh- und hörenswert ist. Der Regisseur befindet sich übrigens seit 2017 in Moskau unter Hausarrest. Denn auch die Kritik am System kommt in «Leto» nicht zu kurz: Serebrennikov, der als freier Kopf der russischen Theater- und Filmszene Bekanntheit erlangte, wurde noch vor Vollendung der Dreharbeiten von «Leto» festgenommen. Letzte Szenen dirigierte er von seiner Wohnung in Moskau aus. Der Schauprozess hat am 8. November begonnen.

Das in Cannes ausgezeichnete Biopic «Leto» läuft seit dem 15. November im Kino.