Der Schweizer Eisenbahn-Fürst: Escher-Statue auf dem Bahnhofsplatz. Stephanie Caminada

Eschers eiserne Pferde

Die Eisenbahn hat die Schweiz im 19. Jahrhundert modernisiert. An den Schalthebeln der Macht sass Alfred Escher.

25. November 2018

Erhöht inmitten des Brunnens vor dem Hauptbahnhof Zürich thront eine Statue. Sie hat ein wachsames Auge auf die Tore zu den Gleisen, die in alle Welt führen. Der Mann, dem die Figur ein Denkmal ist, hatte unter anderem die ETH, die Credit Suisse und den Gotthardtunnel initiiert. Es ist Alfred Escher. Er, einer der politisch und wirtschaftlich einflussreichsten Männer im Bundesstaat von 1848, hatte eine Vision.

Norden und Süden verbinden

1819 wird Alfred Escher in eine reiche Familie geboren. Früh ist er ein Workaholic. Unzählige wirtschaftliche und politische Ämter bekleidet er in seiner Karriere gleichzeitig. Heute illegitim, ist er gleichzeitig in der Regierung und der Gesetzgebung tätig. Zu einer Zeit, in der es noch keine direkte Demokratie gab, sei eine Ämterkumulation nicht unüblich gewesen, sagt Joseph Jung, Historiker und Escher-Biograph. In einem solchen Mass aber doch aussergewöhnlich.

Das Eisenbahnwesen in der Schweiz hat Alfred Escher tatsächlich viel zu verdanken. 1847 ist der Hauptbahnhof noch kein Haupt- sondern nur ein Bahnhof. Er ist ja auch der einzige der Stadt. Die Bahnhofstrasse gibt es noch nicht, die Ausdehnung der Stadt hält sich eng an die Limmat. Im August 1847 fährt der erste Zug aus Zürich nach Baden. Escher aber denkt in grösseren Massstäben: Er träumt von einer Eisenbahnverbindung vom Norden in den Süden der Schweiz. Die Privatisierung der Eisenbahn, für die er kämpft, wird sein Mittel zum Zweck werden.

Der Standort bleibt

Immer mehr Zugverbindungen kommen dazu, schnell ist der Bahnhof Zürich zu klein. Alfred Escher schreibt einen Wettbewerb für die Konstruktion eines neuen Bahnhofs aus. Ein Kopfbahnhof soll es werden, so die Bedingungen. Den Zuschlag erhält Jakob Friedrich Wanner, ein Vertrauensmann Eschers und Chefarchitekt der Schweizerischen Nordostbahn. Es wird mit dem Gedanke gespielt, den Bahnhof ans Seeufer zu legen, da der See als Transportweg weiterhin bedeutend ist. Escher entscheidet schliesslich, den Bahnhof da zu belassen, wo er immer war. Später würde dies den Planern von unterirdischen Bahnhöfen und der Durchmesserlinie einiges Kopfzerbrechen bereiten. Der Fröschengraben, der als Befestigung der Stadt diente, wird zugeschüttet und anstelle des übel riechenden Gewässers wird die Bahnhofstrasse als Boulevard gebaut.

In mehrfacher Funktion unterzeichnet

Escher ist die Bedeutung des Bahnwesens für die Schweiz bewusst. Die Eisenbahn ist der Schlüssel des 19. Jahrhunderts, nichts sei wichtiger für die Entwicklung zum modernen Staat hin gewesen, sagt Jung. Der noch junge Bundesstaat muss seine Infrastrukturen ausbauen. Der Ausbau der Bahnlinien erfordert riesige Summen, die die finanziellen Mittel der Staatskasse bei weitem übersteigen. Kurzerhand gründet Escher die erste grosse Aktienbank für Industrie und Handel, die Schweizerische Kreditanstalt, die heutige Credit Suisse. Die Sache auf die Spitze treibend, präsidiert er auch hier den Verwaltungsrat. 1857 kommt die Rentenanstalt dazu, die heutige Swiss Re, die Eschers wirtschaftspolitischen Einfluss vervollständigt. Hier zeigt sich seine unvorstellbare Macht. Interessenkonflikten geht er einfach aus dem Weg. So verhandelt er als Vertreter des Staates, in seinem Amt als Nationalrat und als Präsident der Eisenbahngesellschaft, wie zum Beispiel bei der Konzessionserteilung der Eisenbahnstrecke von Zürich nach Dietikon, gleich mit sich selbst.

Wo beginnt man zu bauen, wenn nur wenig Geld vorhanden ist? Hätte die Schweiz das Schienennetz mit öffentlichen Geldern finanzieren müssen, sein Ausbau wäre nie so schnell vorangegangen, meint Jung. Durch die riesigen Investitionen Eschers war innert weniger als zehn Jahren das ganze Mittelland erschlossen. Mit der Gründung der ETH sorgt Escher zudem dafür, dass es nicht an ausgebildeten Ingenieuren und Technikern fehlte.

Dunkle Geschäfte

Escher kombiniert nicht nur politische und wirtschaftliche Macht, er hat auch die finanziellen Mittel um seine Projekte voranzubringen. Er hat viel Geld, sowie einige Liegenschaften, wie den Belvoirpark am Zürichsee von seinem Vater Heinrich Escher geerbt.

Dieser kam als Kaufmann in den USA zu Reichtum, wo er im Bankgeschäft tätig war und mit Land spekulierte. Heute ist bekannt, dass ein Teil des Vermögens der Familie Escher aus dem Ertrag von Sklavenarbeit auf einer Kaffeeplantage in Kuba stammt. Sklaven finanzierten die Modernisierung der Schweiz, kritisieren Linke. Joseph Jung relativiert: Die Plantage habe Friedrich Escher gehört, dem Onkel Alfreds. Alfred selbst beteuerte, nie auf Kuba gewesen zu sein, er nahm aber auch nie eine kritische Position dazu ein. Dies obwohl die Machenschaften seines Onkels seinem liberalen Denken widersprechen hätten müssen.

Weder Diktator noch Demokrat

Seine Bewunderer nennen ihn den «Princeps», den «ungekrönten König der Schweiz». Kritiker wie Jeremias Gotthelf hingegen sahen ihn in einem ganz anderen Licht, als republikanischer Diktator. Er selbst sah sich als radikalen Demokraten.

«Escher war ein Relikt aus einer anderen Zeit.»

Beide Bilder sind falsch. Escher ist ein Aussenseiter, ein Wirtschaftsliberaler im konservativen Zürich. In der Stadt ist fast jeder gegen ihn. Trotzdem ist er immer wieder gewählt worden. Er ist ein Kapitalist, arbeitet aber nicht in die eigene Tasche. Die Schweiz lag Escher immer am Herzen, für ihr Wohl wollte er sorgen, meint Jung. Dem Bevölkerung traut Escher aber nicht zu, dass es über komplexe Fragen diskutieren oder gar abstimmen könnte: Er sprach sich gegen die direkte Demokratie aus.

Ende der Ära

Eine solche Vormachtstellung einer einzelnen Person schürt zu recht auch immer die Wut von Kritikern und Kritikerinnen. Die Schweiz hatte sich 1860 verändert. «Escher war ein Relikt einer anderen Zeit», meint Joseph Jung. Es formiert sich eine starke Opposition aus den benachteiligten Bevölkerungsschichten. Die sogenannte Demokratische Bewegung fordert mehr Mitsprache für das Volk, es wurde gegen den Wirtschaftsliberalismus des «System Eschers» angekämpft. Mitte der Siebzigerjahre kommt die Wirtschaftskrise dazu. In dieser schwierigen Zeit will Escher den Gotthardtunnel durchbringen und scheitert an der Finanzierung. 1878 muss er vom Projekt zurücktreten. Kurz nach dem Durchstich des Tunnels 1882, zu dem er nicht eingeladen wurde, stirbt Escher schwer krank an den Folgen seiner Überarbeitung.

So umstritten Alfred Escher auch ist, ohne ihn sähe Zürich ganz anders aus, nicht nur stadtplanerisch sondern auch wirtschaftlich. Mit seinen Initiativen zugunsten der Eisenbahn hat er die Schweiz modernisiert.