Die Kunst, Gegner wie Verbündete zu behandeln: Eine SBI-Diskussion in drei Akten

Unter dem Titel «Schweizer Recht statt fremde Richter. Was steckt dahinter?» führte die Hochschulgruppe Amnesty International am 30. Oktober eine Podiumsdiskussion durch, um die ethischen Grundgedanken zur Selbstbestimmungsinitiative zu ergründen.

12. November 2018

Es war kein Bashing. Denn die Veranstaltung «Schweizer Recht statt fremde Richter. Was steckt dahinter?» verfolgte nicht das Ziel, eine Diskussionsrunde zu schaffen, in der sich die geladenen Gäste gegenseitig in Grund und Boden argumentieren. Das Ziel war es, eine Plattform zu schaffen, in welcher Ideen und Kritik zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgetauscht werden konnten. Das zeichnete diese Podiumsdiskussion aus, denn keiner der geladenen Gäste war wirklich für die Selbstbestimmungsinitiative. Was im ersten Moment nach einer etwas seltsamen Ausgangslage für eine Podiumsdiskussion klang, resultierte in einer mitreissenden Debatte.

Alle dagegen, aber trotzdem nicht einig

Trotz der einvernehmlichen Stimmung in Bezug auf die Initiative, liessen sich die geladenen Gäste in zwei Lager einteilen: Andrea Huber, Gründerin der Informationskampagne zu den Menschenrechten in der Schweiz «Schutzfaktor M», und Matthias Mahlmann, Professor der Philosophie und der Theorie des Rechts, bildeten die Seite der bedingungslosen EMRK-Unterstützer. Francis Cheneval, Professor der politischen Philosophie, und Martin Schubarth, ehemaliger Bundesrichter, repräsentieren die EMRK-Kritiker, welche sich aber trotzdem eindeutig gegen die Initiative positionierten. «Im Diskurs dieser Initiative gibt es nur zwei Möglichkeiten, sich zu positionieren: Für oder gegen das Völkerrecht.» Diese Aussage signalisierte den Start der Diskussion und die Moderation übergab den Kritikern die erste Wortmeldung. Sie nannten die Nachteile der Internationalisierung von Institutionen und das damit einhergehende fehlende Verständnis von länderspezifischen Gepflogenheiten als eines der zentralen Argumente. Jedoch war hiermit auch schon eine der wenigen überzeugenden Aussagen der Diskussion gefallen, die gegen die europäische Menschrechtsvereinbarungen zu sagen sind.

Minderheiten schützen

Der ehemalige Bundesrichter versuchte, die Problematik der EMRK anhand von Beispielen darzulegen, in denen der europäische Gerichtshof für Menschenrechte trotz Volksmehr intervenierte – oder es zumindest versuchte. Dazu gehörten die Ausschaffungsinitiative und das Minarettverbot. Im Publikum wurde dieses Argument – abgesehen von einer Mini-Jung-SVP-Front in der vordersten Reihe – mit missbilligenden Blicken gewürdigt. Von den EMRK-Unterstützenden werden solche Argumente gekonnt aufgenommen und als grundlegende Frage zurückgegeben. Jede Institution enthalte Fehler. Auch der Nationalrat beispielsweise. Trotzdem lanciere niemand eine Initiative, um den Nationalrat abzuschaffen. Eine allgemeine Vereinbarung zu Menschenrechten in Europa brauche es genau darum, um in einer Demokratie die Rechte von Minderheiten zu schützen. Denn auch wenn die Mehrheit entscheidet, gilt es die Grundrechte der Mehrheit und der Minderheit zu bewahren.

Genossinnen gegen Jung-SVP-Fraktion

Argumente wurden wie Tennisbälle von links nach rechts gegeben und landeten schliesslich im Publikum: Der emotionsschwangerste Zeitpunkt der Veranstaltung war erreicht. Die Diskussionsrunde wurde geöffnet. Von enttäuschten Genossinnen bis zu tobenden Jung-SVPlern sass alles im Zuschauerraum. Die Diskussionsrunde drohte kurz vor Ende in undifferenzierte Argumentationen zu kippen, nicht aber mit Matthias Mahlmann. Gekonnt nahm er dem aufbrausenden Initiativ-Befürworter argumentativ und auf Augenhöhe den Wind aus den Segeln und lud ihn nach der Veranstaltung noch auf eine Fortsetzung des Gesprächs abseits des Podiums ein.

Wenn somit etwas aus dieser Veranstaltung mitzunehmen ist, dann ist es nicht, wie es am 25. November abzustimmen gilt – denn das wussten die meisten Besucher und Besucherinnen wohl bereits – sondern, wie mit der politischen Gegnerin umzugehen ist: nämlich wie mit einem baldigen Verbündeten.