Leute aus allen Gesellschaftsschichten steigen im 31er ein und aus. Adelina Gashi

Witikon-Altstetten einfach

Die Buslinie 31 verbindet in 39 Minuten zwei Welten. Eine Busfahrt entlang Wohngegenden, Ausgangsmeilen und Industriezonen.

28. Oktober 2018

Stosszeit in Zürich. Der Bus fährt mit zehn Minuten Verspätung über die Limmatbrücke zum Hauptbahnhof. Im Bus ist es ruhig, trotz der vielen Menschen. «Bahnhofplatz, Hauptbahnhof», erklingt die weibliche Stimme aus den Lautsprechern. Die Türen gehen auf, praktisch alle steigen aus. Die Markenkleider und Anzüge verschwinden, die Passagiere werden durchmischter. Darunter Bauarbeiter in Arbeitskleidung, zwischendurch Obdachlose, Familien mit Kleinkindern, Jugendliche und Studierende. Automatisch wird es lauter und gedrängter.

Ein Familienquartier

Für viele gehört diese Busfahrt zum Alltag. Doch nur die Wenigsten fahren die ganze Strecke, besonders weil die Linie 31 so lang ist. Erst seit Dezember 2017 verbindet der Bus Witikon mit Altstetten. Dadurch wurden zwei Welten verbunden.

Kienastenwies, die Endhaltestelle in Witikon, ist ein ruhiger Ort. Moderne, elegante Wohnsiedlungen sind von grünen Wiesen und Wald umgeben.

Der Bus fährt ab. Es geht an bescheidenen Wohnsiedlungen, renovierten Bauernhäusern und Wiesen vorbei, bis das Zentrum Witikons erreicht ist. Dieses hat viele Einkaufsmöglichkeiten, Coiffeure, Arztpraxen, Kleiderläden, Kirchen und Schulen zu bieten und ist, zwischen zwei Waldabschnitten eingebettet, der ideale Ort für Familien, Rentnerinnen und Rentner.

Der Bus schaukelt durch den Wald und erreicht das Quartier Hirslanden, wo mir besonders die hübschen Jugendstil-Häuser und kleinen gemütlichen Strässchen auffallen. Mit der Haltestelle Klusplatz wird die Landschaft zunehmend städtischer. Die Wohnhäuser stehen nun dichter beieinander und besitzen keine üppigen grünen Gärten mehr. Nach der Freiestrasse, wo ein paar Kinder auf dem Weg zur Schule aussteigen, kommt bald der Kreuzplatz.

An diesem Ort herrscht reges Treiben: Während die Baustelle des neuen Migros-Gebäudes seit Monaten im Gang ist, eilen Geschäftsleute, die in den umliegenden Bürokomplexen arbeiten, in das asiatische Restaurant Nooba oder trinken einen Kaffee im Bohemia.

Alkoholiker zu jeder Uhrzeit

Beim Kunsthaus steigen Schülerinnen und Schüler der umliegenden Gymnasien sowie Studis ein und aus. Einen Kontrast dazu bildet das Niederdorf. Für eine Sekunde sind die rot blinkenden Fenster des dortigen Strichs zu sehen. Nach dem Passagier-Austausch beim Hauptbahnhof fährt der Bus weiter zur Sihlpost, wo das Kasernenareal bedrohlich daliegt.

Auch abends herrscht reger Betrieb im 31er. Noemi Ehrat

Auch abends herrscht reger Betrieb im 31er (Bild: Noemi Ehrat).

Die Busstation Militär-/Langtrasse sieht alles andere als gemütlich aus. Die Häuser sind hier eindeutig in einem schlechteren Zustand. Gleichzeitig hat die Gentrifizierung zahlungskräftigeres Klientel ins Quartier gelockt. Neu sind nämlich das vegetarische Restaurant Hiltl und der Burgerladen Holy Cow hingezogen.

Zu jeder Uhrzeit hat es Alkoholiker oder Obdachlose an der Busstation. Und selbst um sieben Uhr morgens, wenn in Witikon alles ruhig und verschlafen wirkt, sind an der Langstrasse die Partygänger der vergangenen Nacht noch unterwegs – und dies auch unter der Woche.

Industrielles Wohnquartier

Bei der Herdernstrasse fallen Graffitis auf den Häuserwänden auf: «Jugo» lautet eines in greller, roter Farbe, während auf der anderen Strassenseite die Imbissbude «Balkanischer Grill» gut besucht ist. Mehrfamilienhäuser neben Mehrfamilienhäusern, deren Fassaden nicht mehr die neuesten sind und kaum eine Seele auf der Strasse.

«Bahnhof Altstetten» sagt die immer gleich intonierte Frauenstimme aus den Lautsprechern. Wegen Bauarbeiten werden alle aufgefordert auszusteigen.Am Bahnhof Altstetten gibt es viel zu beobachten: Bierdosen werden geleert, jemand telefoniert auf Französisch, Frauen aller Nationalitäten stossen ihre Kinderwagen. Jugendliche hören Musik und «chillen» am Bahnhof, Arbeiter und Banker rauchen Zigaretten.

Am Farbhof ist Endstation. Bis hierhin hat der Bus der Linie 31 in 39 Minuten einen grossen Teil der Stadt Zürich durchquert. Er ist dabei durch Familiensiedlungen und Altersresidenzen gefahren. Er hat das Hochschulquartier genauso wie die Ausgangsmeile an der Langstrasse hinter sich gelassen. Der 31er verbindet zwei Welten: tagtäglich.