Bestens umsorgt: Studierende untersuchen eine Katze. Jonathan Progin

Ein tierisch teures Studium

Die Vetsuisse-Fakultät lehrt Menschen, wie Tiere funktionieren. Kostenpunkt: über 130'000 Franken pro Studi und Jahr.

28. Oktober 2018

Wir wissen es eigentlich. Menschen sind keine Tiere und Tiere sind keine Menschen. Trotzdem fragen wir uns manchmal: Stimmt das wirklich? «Meistens schon», sagt Judith Harder. «Menschen haben zwar tierische Züge an sich, aber grundsätzlich sind wir keine Tiere.» Sie muss es wissen. Harder studiert Veterinärmedizin an der Uni Zürich und präsidiert den Fachverein der Vetsuisse-Fakultät mit. Eine Fakultät mit 696 Studierenden, mit Vorlesungen und Pflichtlektüre, mit Bachelor und Master. Und mit Tieren.

Fast gleich wie Humanmedizin – aber mit Tieren

Tiere gehören in Harders Studium dazu, denn alle zukünftigen Tierärztinnen und Tierärzte der Schweiz gehen in der Vetsuisse-Fakultät ein und aus. Die Fakultät ist ein Sonderfall: Sie bietet zwar nur den Studiengang Veterinärmedizin an, dafür ist sie gleich an den beiden Universitäten Bern und Zürich präsent. Grund dafür ist die Zusammenlegung der Institute im Jahr 2006. Laut Webseite des Projekts diene die Fusion einerseits der Qualitätssicherung in Forschung, Lehre und Dienstleistung und andererseits dem «Ausbau der internationalen Wettbewerbsfähigkeit». Wettbewerb herrscht aber nicht nur unter den Tierforschern und Veterinärinnen auf der ganzen Welt, sondern auch bei den angehenden Studierenden in der Schweiz: An der Vetsuisse-Fakultät gibt es nur 150 Plätze – 80 in Zürich und 70 in Bern.

Eine kleine Zahl für viele Interessierte. Darum existiert bei der Humanmedizin eine Zulassungsbeschränkung. Seit 1999 müssen Vet-Studis denselben Numerus Clausus absolvieren wie Ärztinnen und Ärzte. Allerdings brauchen Tierärztinnen einen tieferen Punkteschnitt als Humanmediziner, um einen Studienplatz zu ergattern. Judith Harder erklärt: «Der Test ist zwar nicht einfacher, aber grundsätzlich ist das Verhältnis zwischen Plätzen und Bewerber kleiner.»

Ansonsten verläuft das Studium fast gleich. Zuerst schlagen sich die Studis durch den theorielastigen Bachelor: drei Jahre Physiologie, Pathologie und Module zu Organen und Bakterien. Ein Schwerpunkt vertieft das Wissen im anschliessenden zweijährigen Master. «Dazu gehören auch immer ein paar Nachmittage mit Praktika», so Harder. Zum Schluss müssen alle monatelang büffeln und das Staatsexamen ablegen. Fertig ist das Diplom. Aber eben: Im Unterschied zur Humanmedizin doktern die Studis in den Vorlesungssälen der Vetsuisse-Fakultät an Schweinen herum, sezieren Pferdeherzen und schneiden Labradorbäuche auf.

Nicht alle wollen eine Praxis

Theoretisch könnten sogar alle mit einem Master in Veterinärmedizin das gesamte Tieralphabet – also von der Anakonda bis zum Zebra – verarzten und pflegen. Schliesslich werde laut Harder am Staatsexamen alles geprüft, unabhängig vom gewählten Schwerpunkt. Rechtlich sind den Tierärztinnen und Tierärzten nach ihrem Abschluss also kaum Grenzen gesetzt, sie dürfen Praxen für Kobras oder für Schnabeltiere eröffnen. Trotzdem wird das kaum so gehandhabt. Die Co-Präsidentin des Fachvereins weiss warum: «Wir behandeln im Studium vor allem sogenannte Haussäugetiere wie Hunde, Katzen, Pferde, Schweine und Rinder. Exotische Arten wie Giraffen oder Zebras werden im Unterricht nur gestreift. Schliesslich will niemand eine Praxis für Tiere eröffnen, die man selber nicht kennt.»

Das renommierte Tierspital Zürich behandelt jährlich über 20'000 Tiere.

Eine eigene Praxis zu führen ist ohnehin nicht das Hauptziel der Studis. Nur etwa die Hälfte der Abgängerinnen der Vetsuisse-Fakultät empfängt später Tiere auf dem Behandlungstisch und muss sich um verängstigte Besitzer kümmern. Die anderen landen in der Forschung, in der Lehre oder sonst irgendwo. Und egal ob mit Kittel in der Praxis oder im Labor – Frauen sind im Hörsaal in der klaren Mehrheit. Im letzten Jahr waren über 85 Prozent der eingeschriebenen Studierenden der Veterinärmedizin Frauen.

Viele Studentinnen, wenige Chefinnen

An den Schalthebeln der Macht sitzen aber Männer. Das oberste strategische Organ, der Vetsuisse-Rat, ist ein reiner Männerclub. Für Roger Stephan, Standortdekan in Zürich und Fakultätsvorstand, stellt diese Tatsache «kein Problem» dar: «Die Sensibilisierung für den hohen Frauenanteil bei den Studierenden und auch bei den Assistierenden besteht auf allen Führungsebenen.» Zudem seien mehr als ein Viertel der Profs Frauen und es gebe diverse Instrumente, «die sich genau dieser Thematik annehmen». Dazu zählt Stephan Teilzeit-Professuren und das Programm «Kids and Careers», das die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben fördern soll.

Judith Harder schliesst sich dem an und beschwichtigt: «Im Moment ist das kein Thema für den Fachverein. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut, wir fühlen uns auf keinen Fall benachteiligt.» Denn unter dem Strich bedeute Nachwuchsförderung auch Frauenförderung – dank dem hohen Anteil an Studentinnen.

Nicht aus dem Fenster geworfen

Zur Vetsuisse-Fakultät gehört neben Vorlesungssälen und Forschungsseminaren auch eine ganze Klinik. Am renommierten Tierspital Zürich werden jährlich über 20'000 Tiere behandelt – von Pferden über Zootiere bis zu Hauskatzen. Die Krebsforschung ist nicht zuletzt dank einem zwei Millionen Franken teuren Linearbeschleuniger europaweit führend.

Krebsforschung mit Linearbeschleuniger

Krebsforschung mit Linearbeschleuniger

Das schlägt sich auch in den Kosten nieder. Die Sockelfinanzierung durch die Universität Zürich betrug 2017 etwa 68,5 Millionen Franken und somit fast 100'000 Franken pro Studi. Zum Vergleich: Die grösste Fakultät der Uni, die Philosophische Fakultät, wird mit 15'520 Franken pro Studi gestützt. Bei den Geistes- und Sozialwissenschaften existieren aber auch keine Wundergeräte, die Tumore millimetergenau bekämpfen können.

Zu den finanziellen Zuschüssen der Hochschule gesellen sich zunehmend eingeworbene Drittmittel. Im vergangenen Jahr strich die Vetsuisse-Fakultät rund 32'000 Franken pro Studi ein. Dekan Roger Stephan präzisiert: «Dieser Betrag bezieht sich auf kompetitive und nicht kompetitive Drittmittelgelder für Projekte. Darüber hinaus erwirtschaftet die Fakultät auch Einnahmen aus der klinischen Tätigkeit des Tierspitals und der Institute.» Schliesslich haben sich die Menschen im Tierspital Zürich dem Wohl der Tiere verschrieben. Das Geld ist also nicht aus dem Fenster geworfen, sondern für die Katz – im wahrsten Sinne des Wortes.