Gestrandet auf Lesbos

Als Arlette Griechenland erreicht, möchte die Studentin nicht lange zusehen, sondern helfen.

13. Mai 2018

Es war eine spontane Entscheidung. Während ihres Austauschsemesters in Ägypten wurde Arlette Zwahlen, Studentin der Islam- und Politikwissenschaften, auf die holländische Organisation «Boatrefugees» aufmerksam. Diese sucht ständig freiwillige Helferinnen und Helfer für ihre Einsätze in Griechenland. Es dauerte nicht lange, bis Arlette fest entschlossen war, nach Lesbos zu gehen, um zu helfen.

Kurzer Einsatz, prägende Zeit

Familie und Freundeskreis waren zunächst sehr skeptisch. Was würde eine junge Studentin ohne jegliche Erfahrung an einem solchen Ort erwarten? Selbst Arlette war kurz vor ihrer Abreise zunächst etwas verunsichert, wie sie wohl mit der Situation vor Ort umgehen würde. Auf die Frage, ob sie schon immer so einen Einsatz machen wollte, antwortet sie aber mit klarem «Ja!». Die meisten Organisationen erwarteten jedoch längere Einsatzbereitschaft und setzten Erfahrung voraus. Nicht so «Boatrefugees»: Erfahrung ist keine Voraussetzung, und die Dauer des Einsatzes kann man ebenfalls selbst bestimmen. Somit meldete sich Arlette via Facebook bei der Organisation als Helferin. Den Flug und die Verpflegung vor Ort musste sie selbst finanzieren, die Unterkunft wird von der Organisation zur Verfügung gestellt.

Ihr Einsatz dauerte insgesamt zehn Tage – kurz, aber sehr prägend. Der Arbeitstag fängt meist um 7 Uhr morgens an. Die Zeiten sind gleitend, denn manchmal kommen fast keine Boote an und dann plötzlich mehrere gleichzeitig bis spät in die Nacht.

Studentin unter medizinischem Fachpersonal

Die Helferinnen und Helfer sind in drei Gruppen aufgeteilt und decken einen 12 km langen Strandabschnitt ab. Im Schnitt sind es wohl um die 20 – 30 Boote am Tag mit je 40 – 50 Leuten drin, die allein an diesem Abschnitt ankommen. Direkt am Strand werden Essen und trockene Kleider verteilt und erste Hilfe geleistet. Die zweite Gruppe patrouilliert am Strand, hält mit Feldstechern Ausschau nach Booten und ortet, wo sie ankommen werden. Die dritte Gruppe fährt die schwangeren Frauen, Kinder und Verletzte zwischen Camps und Spital hin und her.

Arlette war die einzige Studentin und somit die mit Abstand Jüngste in ihrem Team. Sonst sind viele Ärzte und Hebammen oder Leute, die im Bereich der Migration oder in einem Hilfswerk tätig sind, dabei. Der Einsatz wird ausschliesslich durch freiwillige Spenden finanziert.

Die Arbeit am Strand ist alles andere als einfach, doch es gibt auch schöne Momente. «Das blinde Vertrauen und die unglaubliche Dankbarkeit der Menschen, die alles verloren haben, waren überwältigend» – so Arlette. Die anfängliche Skepsis war schnell verflogen. Die Arbeit auf Lesbos war erfüllend. «Es ist ein krasses Gefühl, dass alles was du machst, einen Sinn hat und du jemandem dabei aktiv helfen kannst», fährt sie fort.

Nicht unproblematisch

Der herzliche Empfang durch die Helferinnen und Helfer und die Hilfsbereitschaft könnten aber ein verzerrtes Bild der Realität vermitteln. Denn mit der Ankunft der Flüchtenden in Griechenland ist deren Reise noch lange nicht zu Ende und sie haben noch einige Hindernisse auf dem Weg nach Europa vor sich.

Als Arlette zurück in die Schweiz kam, war das Interesse ihres Freundeskreises und ihrer Familie an ihrem Einsatz gross. «Man merkt, dass viele Fragen und Unklarheiten da sind.» Die zahlreichen Bilder und Zahlen, die in den Medien gezeigt werden, würden nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit widerspiegeln. Arlette ist deshalb überzeugt, dass noch viel Aufklärungsbedarf da sei. Sie findet, die Angst vor den Menschenmassen, die nach Europa kommen, sei verständlich, weil wir wohl nicht wirklich wüssten, wie damit umgehen. Man solle aber bedenken, dass die Menschen alles hinter sich gelassen und diesen Schritt in eine unbekannte Zukunft gewagt haben, sagt sie. Das Mindeste, was wir machen können, ist, diesen Menschen mit Respekt zu begegnen und zu versuchen, ihnen zu helfen, sich zurechtzufinden.