Die American University in Kabul, wo Mukhtar studiert hat.

Autobombe auf dem Weg zur Uni

Mukhtar hat in Kabul studiert. Angst gehörte dabei zu seinem Studienalltag. Dennoch möchte er in Afghanistan bleiben.

13. Mai 2018

Es ist ein Sommertag im August in Kabul. Mukhtar befindet sich gerade auf dem Weg an die Universität und ist noch fünf Minuten entfernt vom Campus. Er ist ein ambitionierter junger Afghane, der Wirtschaft studiert und Rechnungsprüfer werden möchte. Seit drei Jahren ist er nun an der American University of Afghanistan, die nicht nur ein Ort des Lernens ist, sondern auch Treffpunkt für ihn und seine Studienfreundinnen und -freunde. Es ist vermeintlich ein Uni-Tag wie jeder andere. Plötzlich ertönt ein lauter Knall. Eine Autobombe geht hoch, bewaffnete Männer stürmen den Campus und schiessen mit Automatikwaffen. Rauch, Feuer und panische Menschenmassen, die vom Gelände der Universität zu flüchten versuchen. Über 30 Menschen, darunter Dozierende und Freundinnen und Freunde von Mukhtar, fallen dem Anschlag im Jahr 2016 zum Opfer. «Es fällt mir schwer, über diese Ereignisse zu sprechen, es ist nichts, an das ich gerne zurückdenke», sagt Mukhtar. Es sind Erinnerungen, die ihn noch immer belasten.

Studium in Angst

Kaum vorstellbar für Schweizer Studierende, die das Glück haben, in einem der sichersten Länder der Welt zu leben. Bittere Realität ist dies aber für Mukhtar und Tausende Afghanen und Afghaninnen, die seit Jahren wegen der Gräueltaten und wiederkehrenden Attacken von islamistischen Terrorgruppen in Angst leben müssen. Und ein Leben in Angst bedeutet auch ein Studium in Angst. Der 26-jährige Mukhtar hat letzten Sommer sein Studium in Rechnungswesen abgeschlossen. Der Autobombenanschlag von 2016 ist nicht das einzige Attentat, das auf die Hochschule verübt wurde. Bereits im Jahre 2014 hatten die Taliban die Mitarbeitenden der American University of Afghanistan attackiert. Mehrere Menschen kamen ums Leben.

Drastische Sicherheitsprobleme

Die private Universität wurde 2006, mit Hilfe der ehemaligen First Lady Laura Bush, gegründet. Die amerikanische Entwicklungshilfsorganisation USAID sprach der Universität daraufhin finanzielle Unterstützung in Millionenhöhe zu und ist noch immer Hauptgeldquelle. Im Vergleich zur öffentlichen Universität habe die amerikanische Universität in Kabul höhere akademische Standards, erklärt Mukhtar. Darum hat er sich für das Studium an dieser Hochschule entschieden, um später bessere Jobchancen zu haben. «Die Karrieremöglichkeiten in Afghanistan sind wegen der instabilen politischen und wirtschaftlichen Lage sehr klein, was die hohe Arbeitslosenquote generell, aber auch unter Akademikern und Akademikerinnen, erklärt.» Die Anzahl der Studierenden in Afghanistan hat indes in den vergangenen Jahren zugenommen. «Das Studium an einer öffentlichen Universität ist gratis, da die Regierung die Kosten übernimmt», so Mukhtar. Trotzdem ist das Studium für viele junge Leute ein Luxus. Denn statt zu studieren, könnten sie ja arbeiten und Geld für sich und ihre Familie verdienen. Weitaus drastischer seien aber das Sicherheitsproblem und die ungenügenden akademischen Standards an den öffentlichen Hochschulen: «Unglücklicherweise ist die afghanische Regierung nicht in der Lage, dafür zu sorgen, dass die mangelhaften Zustände an den öffentlichen Universitäten verbessert werden. Das Curriculum sollte von Grund auf erneuert werden, um den internationalen Standards gerecht werden zu können. Aber die aktuellen Apparate stammen noch aus den 1980er Jahren und sind überholt.»

Privatuni im Vorteil

Die öffentliche Universität von Kabul ist mittlerweile 86 Jahre alt und zählt circa 25'000 Studierende, davon 40 Prozent Frauen. Eine Umfrage der grössten unabhängigen Nachrichtenagentur Afghanistans hat in diesem Jahr aber ergeben, dass bloss ein Bruchteil davon tatsächlich den Abschluss macht. Grund dafür seien die zunehmende Unzufriedenheit mit den veralteten Lehrmethoden und die Hoffnungslosigkeit, was die Karrieremöglichkeiten nach dem Abschluss angeht.

Die American University of Afghanistan ist die erste private Universität in Kabul gewesen. Im Gegensatz zur öffentlichen Uni geniesst sie einen guten Ruf. Dies sei auch dem qualifizierten, meist amerikanischen Lehrpersonal zu verdanken und den moderneren Standards, sagt Mukhtar. Diesen Eindruck vermittelt auch die Uni selbst. Auf ihrer Website zitiert sie einen Studenten, der meint: «An der American University of Afghanistan studieren zu können, ist ein wahr gewordener Traum.» Ein Traum und somit auch ein Privileg. Trotz der finanziellen Unterstützung aus den USA steht die private Hochschule nämlich vor allem jenen offen, die sie sich leisten können. Ein Studienjahr, inklusive Studiengebühr, Unterkunft und Verpflegung, kostet 17'000 US-Dollar. Das ist viel Geld in einem Land, in dem man im Monat durchschnittlich etwa 44 Euro verdient. Die Universität vergibt zwar Stipendien, für die man aber Zulassungskriterien, wie etwa einen bestimmten Notenschnitt, erfüllen muss.

Träume werden Wirklichkeit

Mukhtar ist fest entschlossen, seine Karriere voranzutreiben: «Ich träumte schon als Kind davon, eines Tages Geschäftspartner eines grossen Unternehmens zu werden, und halte noch immer an diesem beruflichen Ziel fest.» Deswegen hat er die hohen Studienkosten auf sich genommen, um seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Mittlerweile ist er zertifizierter Wirtschaftsprüfer. Nachdem er mehrere Jahre für das internationale Unternehmen Deloitte gearbeitet hat, ist er heute als Finanzberater für die Asia Foundation tätig.

Unabhängigkeit über Sicherheit

Obwohl es viele afghanische Studierende ins Ausland zieht, sei das für ihn momentan keine Option, sagt Mukhtar. Die meisten erhoffen sich vom Abwandern in ein anderes Land bessere Arbeit und ein Leben in Frieden und Sicherheit. Es ist für die Menschen ein Weg aus der Perspektivlosigkeit und Angst. Für Mukhtar kommt dieser Weg aber nicht in Frage: «Ich fühle mich meiner Heimat verpflichtet. Ich will einen Beitrag zu einer besseren Zukunft in Afghanistan leisten.» Ein weiterer Grund sei für ihn auch sein Wunsch nach Unabhängigkeit: «Ich möchte nicht als Geflüchteter in ein Land gehen. Ich möchte von keinem anderen Staat abhängig sein.» Ganz ausschliessen will er ein Leben im Ausland dennoch nicht. Würde man Mukhtar einen Job als Wirtschaftsprüfer in einer ausländischen Firma anbieten, mit dem er selbst sein Leben bestreiten könnte, würde er es sich durchaus überlegen, auszuwandern. Für ein Leben in Sicherheit ohne die Angst vor Bombenanschlägen.