Im Feuer der Ideen

Vor fünfzig Jahren kam es zur grossen 68er-Bewegung. Sie steht bis heute für den gesellschaftlichen Umbruch. Eine Fotoausstellung zeigt nun, wie vielfältig und global die Proteste waren.

2. März 2018

Der Vietnam-Krieg, die Kuba Krise, die Ermordung des Friedensaktivist Martin Luther King – wir schreiben das Jahr 1968. Die heranwachsende Generation hat genug und geht auf die Strasse. Mehr Freiheit, gleiche Rechte für alle, sowie umfassendere Teilnahme und Mitspracherechte im politischen Leben werden zu weltweiten Forderungen. Verschiedene Bewegungen entstehen, so unter anderem die Friedens-, Menschenrechts- oder Flowerpowerbewegung. Der Ruf nach sexueller Freiheit, der Anspruch auf Gleichberechtigung der Frauen und Völker, der Antikapitalismus werden laut.

1968: Ein globales Phänomen

Fünfzig Jahre später lädt das Kosmos zum Gespräch mit Marcelo Brodsky und zur Fotovernissage seiner Ausstellung „1968 – The Fire of Ideas“ ein. Der argentinische Künstler und Menschenrechtsaktivist recherchierte drei Jahre lang in diversen Fotoarchiven und -sammlungen auf der ganzen Welt und suchte daraus die repräsentativsten Bilder der Zeit heraus. Er wählte beispielsweise Archivbilder von Studenten- und Arbeiterdemonstrationen in Berlin, Washington, Melbourne oder von Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen in Tokyo und London. Insgesamt sind Bilder von Protesten aus 34 Städten zusammengekommen, die alle im Zeichen der Unabhängigkeit und Freiheit und gegen unterdrückende Regime, das Militär, Gewalt und Ignoranz stehen. Brodsky beweist: 1968 ist ein globales Phänomen. Die Internationalisierung der Bewegung fehle in der heutigen Zeit, meint er im Gespräch. Weltweit kämpften die Bürger für dieselben Ideen und doch werde jedes Land für sich alleine analysiert. «Die Verbindung fehlt», so Brodsky.

Künstlerisches Intervenieren

Brodsky greift in die ursprünglichen, schwarz-weiss Fotografien ein, ergänzt sie sorgfältig mit Farben (Schweizer Caran d’Ache-Farbstifte sind sein Werkzeug), Zeichnungen und Annotationen und präserviert dadurch den Zeitgeist jenes Jahres. Brodsky nutzt die Wirkungskraft von Bildern, um an vergangene Zeiten zu erinnern, die Gefahr laufen im kollektiven Gedächtnis einer Nation in Vergessenheit zu geraten. Sein künstlerisches Schaffen ist auch durch persönliche Erfahrungen geprägt. Brodsky verlor seinen Bruder Fernando sowie viele Freunde unter dem Terror der Militärdiktatur in Argentinien. Anlass zu seinem Projekt war jedoch das Massaker im Stadtteil Tlatelolco in Mexico City, welches ihn zutiefst erschüttert habe. Hunderte von friedlich demonstrierenden Studenten fielen damals einem Massenmord durch das Militär und Sicherheitskräfte zum Opfer. Die Medien und die Regierung verfälschten anschliessend das Geschehene. Der Fall habe ihn zu seinem Schaffen inspiriert. In seinem Werk versucht er insbesondere Gemeinsamkeiten zwischen den Ereignissen in Lateinamerika und den weltweiten politischen und sozialen Unruhen zu ergründen. Jede Manipulation eines Bildes modifiziert aber auch dessen Interpretation und die Sichtweise des Betrachters. Jedes Bild erzählt eine Geschichte, legt verschiedene Bezüge und Bedeutungsebenen frei. Seine Kunst soll Fragen aufwerfen, Diskussionen anregen, aufgreifen, was lange unter den Teppich geschoben wurde.

Zürich, 1968

Für die Ausstellung in Zürich hat Brodsky eigens ein Werk konzipiert, das nun versteigert wird. Die Fotografie zeigt ein Bild aus dem Keystone-Archiv, zwei Polizisten ducken sich vor dem Wasserstrahl eines Wasserwerfers vor dem Globus-Provisorium auf der Bahnhofbrücke, wo es am 29. Juni 1968 zu Strassenschlachten zwischen Demonstranten und Polizisten kam. Rund 2000 Personen wehrten sich damals gegen den Entscheid des Zürcher Stadtrats, das leer stehende Gebäude nicht als autonomes Jugendzentrum zur Verfügung zu stellen, sondern anderweitig zu vermieten. Als Globuskrawall bekannt gelten die Unruhen als Auftakt der 68er-Bewegung in der Schweiz. Das Bild ist das einzige, in welchem nicht zuerst die Demonstranten ins Auge springen, wie auch das einzige, worauf die bekämpfte Autorität zu sehen ist. Es passt deshalb eigentlich nicht ganz in die Kollektion, emotionale Wirkung entfaltet es trotzdem.

Mehr als eine Retrospektive

Durch seine Bilder will Brodsky auch eine Verbindung zwischen 1968 und heute herstellen. Ein Werk zeigt eine leere Strasse in Dakar, unzählige Schuhe liegen herum. Die Menschen haben sie zurückgelassen auf der Flucht vor Militär und Regime bei einer Demonstration 1968. Sie haben wortwörtlich den Boden unter den Füssen verloren. Aber darüber werde in Afrika nicht gesprochen, Zeitzeugnisse habe man zensuriert oder verschwinden lassen, aus Angst diese könnten ähnliche Bewegungen und Unruhen in der Gegenwart inspirieren. Die Aktualität und Relevanz der Anliegen und Ideen der 68er-Jahre wird dadurch nur umso mehr hervorgehoben.

Die Ausstellung zeigt die Kraft von Protesten und wie sie die Welt 1968 geformt haben. Dabei sind orange kolorierte Hände bzw. in den Himmel gestreckte Fäuste ein wiederkehrendes Symbol in Brodskys Bildern. Sie bezeichnen die Solidarität und Unterstützung der Demonstrierenden untereinander. In dem Sinne, sollen die Betrachter dazu animiert werden aktiv zu werden, gemeinsam darum zu kämpfen, dass ihre Stimmen gehört werden, sich dem gegenwärtigen Unrecht zu widersetzen und die Welt zu verbessern. Das Feuer brennt weiter.

Marcelo Brodsky „1968 - The Fire of Ideas“

Kosmos

Lagerstrasse 104

8004 Zürich