Studierende in Berlin protestieren gegen die Entlassung von Andrej Holm.

Nach Protesten wieder eingestellt

In Berlin entlässt die Uni einen Dozenten wegen angeblich falscher Angaben zu seiner Vergangenheit bei der Stasi. Daraufhin besetzen Studierende das Institut.

24. Februar 2018

Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), trat am 17. Januar 2017 vor die Studierenden der Sozialwissenschaften. Sie gab ihnen die Entlassung von Andrej Holm bekannt. Die Antwort folgte prompt: Einige Studierende traten vors Rednerpult und erklärten die spontane Besetzung des Instituts.

Zum Rücktritt gezwungen

Andrej Holm war Dozent für Stadt- und Wohnungspolitik. Der «Spiegel» nannte ihn den «profiliertesten Gentrifizierungsforscher Deutschlands». Holm war einen Monat zuvor ins höchste Amt für Wohnungspolitik der Stadt Berlin berufen worden. Kurz nach Amtsantritt ging eine öffentliche Debatte um seine DDR-Vergangenheit los, die seinem Ruf erheblich schadete. Die HU kreidete Holm Falschangaben zu einer Anstellung bei der damaligen Staatssicherheit an. Holm zufolge ein Missverständnis: Er habe die fünfmonatige Anstellung bei der Stasi als Ausbildung angesehen und deswegen nicht deklariert. Nach nicht einmal einem Monat im Amt wurde er vom Berliner Bürgermeister zum Rücktritt gezwungen.

Für eine «Uni von unten»

Studierende schrieben zu seiner Entlassung: «Es handelt sich um eine politische Entscheidung, mit der das Präsidium gegen den Willen weiter Teile der Studierenden vorgeht.» Tatsächlich standen viele hinter Holm: Zur ersten Vollversammlung erschienen gegen 200 Studierende. Viele kannten ihn aus Vorlesungen und Seminaren. Diesem fulminanten Auftakt folgten sechs Wochen Besetzung mit rund 200 öffentlichen Veranstaltungen, die täglich bis zu 500 Menschen besuchten. Was vermochte eine derartige studentische Energie zu bündeln?

Maurice* erzählt vom Frust, der sich unter den Studierenden ausgebreitet habe. Die Uni habe eine der wenigen politisch engagierten Lehrkräfte entlassen. Das habe viele Studis empört. Tjorven* schliesst sich dem an: Es sei nicht um Holms Person, sondern ums Prinzip der studentischen Mitsprache gegangen.

Schon die schiere Menge an Medienmitteilungen macht klar, dass der Protest neben der sofortigen Wiedereinstellung Andrej Holms eine hochschulpolitische Vision verfolgte: Es ging darum, für eine «Uni von unten» frei von Leistungsdruck und Ökonomisierung zu kämpfen, mit mehr studentischer Mitsprache und Basisdemokratie.

Eine unerwartete Wendung

In den ersten vier Wochen erlangte das Projekt für die Beteiligten grosse Dringlichkeit. «Noch nie hatte ich das Gefühl, derart verantwortlich zu sein für etwas», meint Leo. Viele übernachteten im Institut und liessen Vorlesungen und Prüfungen fallen. Sie waren beflügelt von der Energie und der offenen Atmosphäre, die viele neue Kontakte ermöglichte. Verschiedene Arbeitsgruppen beschäftigten sich von früh bis spät mit Pressearbeit, der Organisation von Veranstaltungen sowie internen Diskussionen. Unzählige stadt- und wohnpolitische Initiativen aus Berlin brachten sich ein und liessen einen spontanen autonomen Kulturort inmitten der Berliner Innenstadt entstehen. Und am 10. Februar geschah dann, was niemand für möglich gehalten hätte: Die HU zog Holms Kündigung zurück.

Selbstkritik und Strafverfahren

Ein Jahr ist seither vergangen. Was bleibt, ist ein Beispiel unerschrockener Studierender, das vor Augen führt, dass studentische Einflussnahme und Selbst-

organisation möglich sind. Dennoch fehlt es vonseiten der Besetzenden nicht an Selbstkritik: Durch die schnelle Etablierung eines «linken Codes» seien Menschen ausgegrenzt worden. Wer es sich leisten konnte, nicht zur Uni und zur Arbeit zu gehen, habe automatisch mehr zu sagen gehabt. Ausserdem habe man es versäumt, andere Studierende zu erreichen, die die Ziele der Besetzung nicht von Beginn weg teilten.

Die Erfüllung der zentralsten Forderung markierte denn auch einen Bruch in der Bewegung. Die Zahl der Beteiligten fiel stark ab, das Interesse sank. So lief der universitäre Betrieb bald wieder weiter wie zuvor. Nach zwei Wochen wurde auch der letzte Seminarraum wieder freigegeben. Die Studierenden haben ihr Mitspracherecht geltend gemacht. Der Preis dafür ist ein hoher: Gegen einzelne von ihnen laufen mittlerweile Strafverfahren. ◊

*Namen von der Redaktion geändert .