Gefahr am Horizont
Horizon 2020 ist das umfassendste Programm der EU zur Förderung von Forschung. Auch die Schweiz profitiert in hohem Mass davon. Doch nun droht Ungemach.
Eine neue Uni in einer aufregenden Stadt kennenlernen. Mit aufregenden Menschen in neuer Umgebung in Kontakt treten. Den eigenen Horizont erweitern. Und vielleicht auch ab und an etwas über die Stränge schlagen. Das ist das Bild, das Studierende wohl im Kopf haben, wenn sie an Austausch und Studium denken. Doch: Austausch ist viel mehr. Austausch bedeutet auch Austausch von Wissen. Die Zusammenarbeit von Universitäten in ganz Europa an gemeinsamen Forschungsprojekten. Das Buhlen um Forschungsgelder in Millionenhöhe. Austausch bedeutet Geld. Austausch bedeutet Horizon 2020.
Kompetitiver Grundsatz
Horizon 2020 ist der Name des insgesamt achten Forschungsrahmenprogramms (FRP), das unter der Schirmherrschaft der Europäischen Union organisiert wird. Es dient grundsätzlich der Umsetzung des Europäischen Forschungsraums, der zum Ziel hat, Wissen europaweit verfügbar und beweglich zu machen. Das Ziel dahinter wiederum ist es, die Wirtschaft durch innovative Forschung anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen und Europas Position als Bildungskontinent zu fördern. Für die siebenjährige Laufzeit hat die EU Horizon 2020 dazu den schwindelerregenden Betrag von 81.6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Horizon 2020 folgt einem kompetitiven Grundsatz: Nur die besten Einreichungen werden finanziell unterstützt.
«Offener Austausch»
Die Schweiz beteiligt sich seit 1992 an den europäischen FRP und gilt seit 2003 als vollassoziierter Staat. Das bedeutet, dass die Schweiz den EU-Staaten gleichberechtigt ist, was die Zusammenarbeit und den Erhalt von Fördergeldern anbelangt. Für den Forschungsplatz ist das zentral, wie Sofia Karakostas betont, Co-Leiterin von «EU GrantsAccess», der Beratungsstelle der Universität Zürich und ETH in Sachen internationale Wissenschaftsförderung. «Forschung lebt von internationaler Vernetzung und offenem Austausch.» Horizon 2020 schafft die Rahmenbedingungen dafür.
Auch aus finanzieller Sicht lohnt es sich, mit dabei zu sein: Seit 2003 hat die Schweiz immer einen Überschuss erzielt. Das heisst: Die Schweiz hat weniger in die Programme einbezahlt, als sie an Forschungsbeiträgen daraus zugesprochen bekommen hat. Ein Indiz für den starken Bildungsplatz Schweiz: Für Karakostas ist der finanzielle Aspekt aber nicht der wichtigste für die Teilnahme an Horizon 2020: «In den allermeisten Fällen würde ich andere Faktoren, wie internationales Renommee, karriereförderndes Element oder Innovation und Marktnähe höher gewichten.»
Erfolgreiche Schweiz
Besonders gut schneidet die Schweiz bei den ERC-Stipendien ab, die sich an exzellente Forschende und deren Projekte richten. Über den Erhalt eines solch hochdotierten Stipendiums entscheidet der Europäische Forschungsrat, eine von der EU eigens dazu einberufene Kommission.
Die Erfolgsquote der Schweizer Bewerbungen für ERC-Stipendien ist fast doppelt so hoch wie der gesamteuropäische Schnitt. Für Karakostas liegt das unter anderem daran, dass die Schweizer Forschungslandschaft stark internationalisiert ist: «Die Schweiz ist ein attraktiver Forschungsstandort für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Somit können Universitäten exzellente Forschende aus der ganzen Welt anziehen.»
Klassenprima ETH
Bis Ende 2017 ist die Schweiz mit 2'009 Projekten an Horizon 2020 beteiligt und hat dafür Gelder in der Höhe von insgesamt 640 Millionen Euro zugesprochen bekommen. Wenn man die Verteilung nach Institutionen aufschlüsselt, springt ins Auge, dass die beiden ETH sich deutlich stärker an Horizon 2020 beteiligen, sowohl was die Anzahl Projekte als auch was die Höhe der erhaltenen Fördergelder anbelangt. Ein weiteres Indiz für den Status der ETH als Eliteschule? Sofia Karakostas relativiert: «Das liegt unter anderem daran, dass der ganze Bereich der Ingenieurwissenschaften bei den Universitäten wegfällt.»
Ungemach am Horizont
Die Schweiz und Horizon 2020: Liebe auf den ersten Blick? Dieser Eindruck ist nur bedingt zutreffend. Nach der Annahme der «Masseneinwanderungsinitiative» im Frühjahr 2014 verlor die Schweiz für eine Zeitspanne von fast drei Jahren ihren Status als vollassoziiertes Mitglied. Denn: Eine wortgetreue Umsetzung der Initiative hätte gegen die von der EU geforderte Personenfreizügigkeit verstossen. Schweizer Forschende hatten nur noch begrenzten Zugang zu den europäischen Förderprogrammen. Das schlug sich in weniger Beteiligungen und massiv weniger Koordinationen (d.h. Projekten, die von Schweizer Institutionen geleitet werden) nieder. Erst seit dem 1. Januar 2017 kann die Schweiz wieder als gleichberechtigtes Mitglied an Horizon 2020 teilnehmen. Der so wichtige Zugang zu internationalem Wissen und Fördergeldern ist wieder gewährleistet. Seither ist laut Karakostas auch wieder eine Erholung feststellbar: «Grundsätzlich konnte nach der Zeit der relativen Unsicherheit das Interesse bei den Forschenden wieder geweckt werden». Aber Karakostas weist auch darauf hin, dass der Rückstand noch nicht ganz aufgeholt werden konnte. «Nach einem solchen Einbruch braucht es Zeit, sich wieder in positive Zahlen zu steigern.»
Doch bereits droht weiteres Ungemach am Horizont: Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) hat zusammen mit der SVP eine nationale Volksinitiative lanciert, die die Personenfreizügigkeit aufkündigen will. Die Annahme der Initiative würde das Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz stark verändern, so Karakostas. Es ist zu erwarten, dass sich das auch auf die FRP auswirken würde. Denn: Die Vollassoziierung der Schweiz ist nur bis zum Ende von Horizon 2020 gegeben. «Für das kommende Forschungsrahmenprogramm FP9 muss alles politisch neu ausgehandelt werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Annahme einer solcher Initiative nicht förderlich sein dürfte», hält Karakostas fest. Die Annahme der AUNS-Initiative würde somit nicht nur die Personenfreizügigkeit über Bord werfen, sondern auch den Schweizer Bildungsplatz angreifen. ◊