Alles eitel Sonnenschein? Nicht ganz: An der Stauffacherstrasse 141 gibt es Zoff. Oliver Camenzind

«Kafi für dich», aber nicht für die Nachbarschaft

Ein Quartiercafé expandiert. Dieses Jahr wurde den letzten Familien im Haus gekündigt. Die «Pension für dich» bringt mehr Miete.

4. Dezember 2017

Susanne Glättli* lebt seit 13 Jahren an der Stauffacherstrasse 141 in Zürich. Vor acht Jahren zog im Erdgeschoss des Hauses das «Kafi für dich» ein, heute ein beliebter Treffpunkt, auch für Studierende. Nun muss die Mieterin bis Sommer 2019 aus der Wohnung raus. Sie ist Mutter eines vierjährigen Sohnes und zurzeit hochschwanger. Die Kündigung erhielten sie und ihr Partner eigentlich schon für letzten September, vor der Schlichtungsbehörde konnten sie aber eine Verlängerungsfrist von 22 Monaten erkämpfen.

Aus der Not zum Ausbau

Michel Häberli ist Gründer und Mitbesitzer des «Kafi für dich». Lange führte er den Club «Dachkantine». Als es um Familienplanung ging, wollte er ins Tagesgeschäft wechseln. Das «Kafi für dich» war von Anfang an ein Erfolg. Es ist ein Familienkafi mit Kinderecke, am Nachmittag finden sich jeweils auch Studierende mit ihren Laptops im Café ein. Mehr aus Zufall wurde aus dem Kafi auch eine Pension, sagt Häberli. «Nach zwei Jahren wurde die Wohnung direkt über uns frei. Die haben wir gemietet, damit wir lärmtechnisch keinen Stress haben.» Zuerst wussten Häberli und sein Geschäftspartner nicht, was mit der Wohnung anzufangen war, «die Pension ist also eigentlich aus der Not entstanden». Heute werden 18 Pensionszimmer vermietet. Und offenbar läuft der Hotelzweig, die «Pension für dich», gut. Mittlerweile bestehen Umbaupläne für eine Pension mit 32 Zimmern im gleichen Gebäude. Häberli und sein Geschäftspartner wollen die Küchen zweier Wohnungen ebenfalls zu Zimmern ausbauen. Kostenpunkt für eine Übernachtung in der «Pension für dich»: 110 Franken pro Nacht – für Zürcher Verhältnisse ein Schnäppchen.

Auf Kosten der Mieter?

Als das «Kafi für dich» seine Türen öffnete, hatte Mieterin Susanne keine Bedenken. Sie fand, ein familienfreundliches Lokal passe ins Wohnquartier um die Bäckeranlage. Doch spätestens als die Pension dazukam, wurde es ihr zu viel. «Das Wohnen wurde immer anonymer», meint sie und erzählt von Hotelgästen, die in ihre Wohnung traten, im Glauben, es handle sich um ein Pensionszimmer.

Der Hauptstreitpunkt war aber ganz klar die Lärmbelastung. In den Anfangsjahren führte Häberli Konzerte im Café durch, seit einem Jahr aber heisst es auf der Menü-Karte: «Leider sind unsere Konzerte verboten worden.» Wie der Konflikt genau abgelaufen ist, wird nicht klar. Laut Häberli war mit zwei der sechs Mietparteien kein Dialog möglich, «sie sind immer sofort zur Polizei gegangen und haben eingeschriebene Briefe an die Verwaltung geschickt». Glättli sagt dazu: «Es dauerte Jahre, bis wir zum ersten Mal die Polizei gerufen haben.» Vorher hätten sie sich von den Kafi-Besitzern nicht ernst genommen gefühlt: «Wir haben immer wieder das Gespräch mit den Mitarbeitern des Kafis und auch der Verwaltung gesucht, aber trotz unserer Reklamationen hat sich nie etwas geändert.»

Über die Monate verhärteten sich die Fronten. Die Mieterin wollte etwas unternehmen und fand heraus, dass die Besitzer des «Kafi für dich» nie eine Bewilligung für die Konzerte eingeholt hatten.

Mischnutzung? Nicht realisierbar!

Lärmmessungen der Stadt Zürich zeigten, dass die Konzerte tatsächlich zu laut waren. Es wurden keine Bewilligungen erteilt, obwohl Michel Häberli von Anfang an versucht hat, Kompromisse einzugehen: «Die Konzerte waren immer um 22 Uhr fertig, und Bands mit Schlagzeug haben wir nach ersten Beschwerden sowieso nicht mehr gebucht.» Er fühlt sich von den Mieterinnen und Mietern hintergangen. «Eine Stadt funktioniert nur mit Toleranz und Kompromiss», sagt Häberli. Doch die Besitzer des Cafés mussten den Traum von der Mischnutzung aufgeben.

Nach den Auseinandersetzungen im Haus beantragte Häberli bei der Kornhaus-Verwaltung die Globalmiete für das Haus. Und seine Rechnung ging auf: Die Verwaltung witterte das Geschäft und kündete den Eingemieteten – die Pensionsbetreiber bringen ihr höhere Einnahmen als die Wohnungsvermietung. Michel Häberli gibt offen zu: «Die Mieter haben sich quasi selber verarscht.»

Gentrifizierung oder Bereicherung?

Nur zwei Mietparteien hatten sich gewehrt, die anderen vier pflegten ein gutes Verhältnis zum«Kafi für dich» – trotzdem erhielten auch sie vor zwei Jahren die Kündigung. «Sind es die Konzerte wirklich wert, langjährige Mieter aus dem Quartier zu werfen, oder geht es nur um den Profit?», fragt Mieterin Susanne Glättli. Der Mieterverband brachte die Geschehnisse an der Stauffacherstrasse 141 an die Öffentlichkeit. In einem Artikel in «Mieten + Wohnen» kritisiert er das «Kafi für dich». Ist der Fall ein Beispiel für die fortschreitende Gentrifizierung im Zürcher Kreis 4?

Michel Häberli sieht das ganz und gar nicht so: «Der Mieterverband hat das falsche Beispiel für Gentrifizierung gewählt.» Das «Kafi für dich» beschreibt er als familiär, in der Pension seien mehrheitlich Kulturschaffende untergebracht. Eine Stadt wie Zürich brauche solche temporäre und preiswerte Gasträume, «wenn wir eine Ibis-Kette wären, fände ich das auch scheisse». Die Airbnbs, von denen es im Quartier um die Stauffacherstras-se viele gibt, seien das wahre Problem. Airbnb als Form des Wohnungsvermietens für Touristinnen und Touristen ist anonym, es werden keine Arbeitsplätze generiert und es entstehen keine Begegnungen – «das ist also ganz im Gegensatz zu unserer Pension überhaupt keine Bereicherung für die Stadt Zürich», folgert Häberli. Den Artikel des Mieterverbandes bezeichnet er als «rufschädigende Meinungsmache».

Umzingelt vom «Kafi für dich»

Für Susanne Glättli hingegen ist klar, dass die Betreiber des Kafis Wasser predigten und Wein tranken: «Vor dem Kafi hing einst monatelang eine Binz-Fahne», erzählt sie. Häberli habe sich selber mit Häuserbesetzern solidarisiert. Sie müssten sich also der Problematik der Gentrifizierung bewusst sein. Nun aber vertreiben sie selber Leute aus ihrem Wohnraum, die erst noch vor dem «Kafi für dich» da waren.

Nach dem Auszug von Mieterin Susanne und ihrer Familie 2019 bleibt nur noch eine Mietwohnung übrig. Ihre Bewohner setzen sich ebenfalls zur Wehr. Der Entscheid der Schlichtungsbehörde steht noch aus. Es ist wahrscheinlich, dass die Familie noch länger an der Stauffacherstrasse 141 bleiben kann, als einzige Partei, umzingelt vom «Kafi für dich». ◊

*Name von der Redaktion geändert

Das «Kafi für dich» ist Mitglied beim Verein «Tribeka», der Zürich ein neues Quartier schenken will – und Gentrifizierung in Kauf nimmt. Mehr dazu hier:

http://zs-online.ch/braucht-eine-stadt-gentrifizierung/