Der Stolz im Vorteil
Dem Klischee nach haben es Studis in den Geisteswissenschaften leichter. Der Querschnitt durch drei Hochschulen zeigt: Leistung kann man nicht vergleichen.
Betritt man das Hauptgebäude der HSG, lässt man Jacke und Schal besser gleich an. Kühle graue Betonwände, kaum Licht und Temperaturen, die für alles andere als Wohlfühlambiente sorgen. Studierende besuchten die Universität, um zu lernen und zu arbeiten und dieses Ambiente sei förderlich für jenes Vorhaben, soll seitens der Universität hierzu gesagt worden sein. Die HSG, ein Ort, an dem Leistung oberste Priorität hat und Ellenbogen-Mentalität gefördert wird.
Und so ist auch das Hören-Sagen über die Universität St. Gallen von Aussagen geprägt, die die Leistungskultur der Institution verdeutlichen: Die Dozierenden erzählten den Studierenden im ersten Semester, dass nur noch zwei Drittel von ihnen nach den Prüfungen weiterhin dabei sein werden, denn das Studium an der HSG entspreche nun mal nicht allen. Es werden Horrorstorys von gelöschten Seminararbeiten verbreitet, mit der Warnung, den Computer während der WC-Pause nicht offen stehen zu lassen. Studierende berichten, dass Vergleiche an der Tagesordnung seien und Nervosität ausbreche, wenn jemand bereits weiter mit dem Stoff ist als die anderen. Dennoch sind tausende junge Menschen bereit, sich auf diese Bedingungen einzulassen, denn die HSG geniesst Prestige.
Der Graben zwischen den Wissenschaften
Wer nun denkt, dass andere Schweizer Universitäten wärmere Umgangsformen mit ihren Studierenden pflegen, liegt nicht ganz richtig. Da Institutionen wie die Universitäten Zürich oder Basel deutlich grösser sind als die HSG, sind Aussagen über das Klima und die Leistungskultur nicht so pauschal zu treffen. Von Institut zu Institut ist dies nämlich ganz unterschiedlich. An der Universität Basel scheint zum Beispiel ein Graben zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften zu bestehen. Pharmazie- oder Medizin-Studierende haben nur ein müdes Lächeln übrig für Fächer wie Philosophie oder Musikwissenschaften. An der Universität Basel herrscht das Vorurteil, dass Studierende der Geisteswissenschaften der dolce vita frönten, mit einem Stundenplan von acht bis zehn Lektionen in der Woche und geschenkten Leistungsnachweisen, während für andere das Studium einem Vollzeitjob gleichkommt. Konflikte zwischen den Wissenschaftszweigen geben nicht bloss an der Universität Basel zu reden. Dennoch scheint man fast von einer Feindschaft sprechen zu können, die hier ausgetragen wird. Marc*, der Medizin im fünften Jahr studiert, meint: «Es ist tatsächlich so, dass wir kein besonders gutes Bild von gewissen Fächern der Geisteswissenschaften haben. Aber ich sehe es auch so, dass Medizin einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft hat als beispielsweise die Kulturwissenschaften.»
Gegenteile
An der Universität Zürich ist Leistung natürlich ein genauso umstrittenes Thema unter den Studierenden. Ähnlich wie an der HSG zeigt sich dies im Verständnis von Konkurrenzdenken und Aufwand, was wiederum von Institut zu Institut variiert. Die Studierenden der Rechtswissenschaftlichen Fakultät sind gemeinhin dafür bekannt, einen raueren Umgangston miteinander zu pflegen. Robin*, der selbst Jura im Master studiert, erzählt: «Wichtige Informationen werden anderen bewusst vorenthalten und Bücher sogar in der Bibliothek versteckt. Das geschieht wirklich, denn der Druck, zu bestehen, ist gross.» Krasses Gegenteil hiervon sind Fächer wie Filmwissenschaft oder auch Ethnologie. So erklärte ein Professor in der Einführungsvorlesung der Ethnologie, dass die Studierenden wegen der Prüfung nichts zu befürchten hätten, denn es gehe hier schliesslich nicht darum, irgendjemanden in die Pfanne zu hauen.
Falscher Stolz
Die interne Leistungskultur in den verschiedenen Fächern der Universitäten führt dazu, dass man sich als Student und Studentin in seinen Vorurteilen bestätigt fühlt, was sich in falschem Stolz- und Ehrgefühl und den damit einhergehenden Klischees widerspiegelt. Es herrscht Unmut über vermeintlich unausgeglichene Anforderungen im Studium, was aber das eigentliche Problem verschleiert. Statt einander weiter anzufeinden, sollten Studierende erkennen, dass es das mangelhafte und unflexible System ist, das die Ursache für diese Unstimmigkeiten ist. ◊
*Namen von der Redaktion geändert