Rousseau in Zürich
Der Verfassungsstaat steckt in einer tiefen Krise. Die «Rousseau Lectures» wollen Ursachen erörtern und mögliche Auswege aufzeigen. Sie finden ab nächstem Mittwoch zum ersten Mal in Zürich statt.
Vor einem Jahr wurde Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt, seit zehn Monaten ist er im Amt. Seither gibt seine Art zu politisieren beinahe täglich Anlass zu berechtigter Kritik. Seine Rhetorik ist höchst diskriminierend und seine politische Vision über weite Strecken gegen Verfassung und/oder die Menschenrechte, je nach Tagesform. Doch nicht nur in den USA, auch andernorts ist das allgemeine Verständnis von Rechtsstaatlichkeit einem gefährlichen Wandel unterworfen – man denke etwa an Polen oder Ungarn. «Trump ist nur ein Symptom einer tieferliegenden Krise», kommentiert Matthias Mahlmann, Professor für Rechtsphilosophie an der Uni Zürich. Diese Krise macht sich beispielsweise dann bemerkbar, wenn Parteien einen einheitlichen Volkswillen behaupten, der, weil er ja Volkswille ist, als unantastbar behauptet wird. Denn so kann jede politische Agenda am Filter des Rechtsstaates vorbeigemogelt werden. Aber damit nicht genug: «Politischer Nationalismus wird auf breiter Front legitimiert, Internationale Institutionen werden als illegitime Okkupation von Herrschaftsrechten desavouiert», so Mahlmann.
«breite Debatte»
Die Lage ist also ernst und betrifft bei weitem nicht nur vereinzelte Staaten, geschweige denn nur die USA. Denn ein Staat ist keine Insel, sondern in internationale Beziehungen verwickelt und an übergeordnete Konventionen gebunden. Darum betont Mahlmann auch, dass die Rousseau Lectures keine «Trump-Lectures» sein sollen. Vielmehr geht es darum, Phänomene zu benennen, die zeitgleich in verschiedenen Regionen der Welt zu beobachten sind. Und es soll ein Raum geschaffen werden, wo die unseren Demokratien zugrundeliegenden Ideale diskutiert und verteidigt werden können.
Diese Ideale sind nicht nur Angelegenheit der Rechtsphilosophie: Daher sind nebst dem Referenten, John Mikhail von der Georgetown University in Washington DC, weitere, hochkarätige Gäste zur Diskussion nach den Vorlesungen geladen. Nebst dem politischen Philosophen Francis Cheneval von der Uni Zürich werden so auch alt Nationalrätin und Publizistin Gret Haller und andere zu Wort kommen. Die Rechtsphilosophie kann zu dieser wichtigen Debatte ihren Teil beitragen. Aber sie wird die mannigfaltigen Probleme nicht alleine lösen können. «Wir brauchen eine breite Debatte über die Grundlagen unserer Rechtskultur», bestätigt Professor Mahlmann.
breite Hintergründe
Zu dieser Ausgangslage passt John Mikhail ausgezeichnet. Er hat sich ausser mit Jura mit Politologie, Philosophie, Recht und Kognitionswissenschaft auseinandergesetzt und freut sich über Debatten mit anderen, die wiederum ihre eigenen Sichtweisen haben. «Ich hoffe, möglichst viel von meinem Hintergrund in die Vorlesungen einbringen zu können», sagt er. Etwas weniger zuversichtlich ist er hingegen, wenn es um die Sache geht, über die er reden wird. «Die gegenwärtigen Zustände versetzen mich genauso in Sorge wie viele andere auch», sagt Mikhail. Um das zu ändern, ist Mahlmann überzeugt, «brauchen wir offene Debatten». Das Publikum darf also gespannt sein.
Im Namen der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie hat Prof. Dr. Matthias Mahlmann zur ersten Ausgabe der Rousseau Lectures eingeladen, die künftig ein- bis zweijährlich an verschiedenen Universitäten der Schweiz stattfinden sollen. Die Vorlesungen finden am 15. und 16. November jeweils um 18:00 in der Aula statt. Weitere Informationen hier