Was Frauenrechte mit Autofahren zutun haben
Die saudi-arabische Autorin und Frauenaktivistin Manal al Sharif stellte Anfang Monat ihr Werk «Daring to Drive» im Zürcher Kaufleuten vor. Trotz einer eher schwachen Moderation schaffte es Sharif das Publikum für sich zu gewinnen.
Manchmal arbeitet der Zufall perfekt mit der Planung zusammen. So geschehen bei Manal al Sharif: Autofahren – oder viel mehr die Reaktion der politischen Herrscher auf eine Frau am Steuer - brachte sie 2011 in Saudi Arabien erst ins Gefängnis und trieb sie später ins Exil. Dieses Jahr hat sie mit «Losfahren» (im englischen Original «Daring to Drive») ihre Autobiografie veröffentlicht. Und nur wenige Tage vor dem Start von al Sharifs Buchtour durch den deutschsprachigen Raum kam nun die Ankündigung des saudischen Königs Salman, dass Frauen offiziell die Erlaubnis zum Autofahren bekommen würden. Diese Buchtour begann am Abend des 1. Oktober im Zürcher Kaufleuten – und mit der naheliegenden, wenn auch etwas fantasielosen Frage, wie al Sharif auf die revolutionären Neuigkeiten reagiert habe. Es sei frühmorgens um fünf gewesen, und sie als einzige schon wach, in ihrem Haus im Exil in Sydney, als sie die Push-Benachrichtigung aufs Handy bekommen habe. «Ich fing an zu weinen, und hatte niemanden, den ich umarmen konnte», erzählt sie der Moderatorin Antonia Moser und dem Publikum freudestrahlend - und ein wenig verlegen.
Schwache Fragen, starke Sharif
Das eher formelle Ambiente des alten Zürcher Zunfthauses weicht einer ungezwungenen, offenen Atmosphäre wenn al Sharif spricht – und die Zuschauenden wünschen sie sich sofort als beste Freundin. Leider schafft es die hauptberufliche SRF-Redaktorin Moser nicht, diese Stimmung einzufangen und durch ihre Fragen und Bemerkungen zu fördern. Sie ist gut vorbereitet und hat einen erkennbaren roten Faden in der Gesprächsführung, doch sind die Fragen manchmal etwas gar banal (böse Zungen würden sagen «rhetorisch»). So fragt Moser einmal, ob al Sharifs Kampf nun beendet sei. Schon bevor sie diesen Gedanken formuliert, kennt das Publikum die Antwort der breit lächelnden al Sharif: Nein. Als nächstes sei das Beschützer-Prinzip fällig, das es Frauen weitgehend verunmöglicht, ohne einen männlichen Vormund Entscheidungen zu treffen, erklärt die Aktivistin kämpferisch, und dann die Monarchie. Solche und ähnliche Fragen dienen natürlich bloss als stilistisches Mittel, sind aber auch als solche keine Glanzleistung. Ihre vermittelnde, streng nüchterne Art, Mosers Stärke bei der Moderation von religiösen Dialogen oder bei Sendungen zum Thema Glauben, verkommt hier zum Handicap. Bei der Entscheidung für Moser sind die Veranstaltenden wohl Opfer ihres Vorurteils geworden, dass ein Gast aus Saudi Arabien ein Gespräch mit religiösem Einschlag nach sich zieht.
Keine Feministin
Doch bei al Sharif geht es nicht um abstrakte Glaubenslehren oder philosophische Überlegungen, sondern viel mehr um ihre ganz persönlichen Erlebnisse und ihren Lebensweg von der Vorzeigeschülerin über die Islamistin bis zur Frauenrechtlerin, die durch ihre Kampagne «Women2Drive» und ein YouTube-Video ihrer Autofahrt nationale und internationale Berühmtheit erlangte. Die Begriffe «Feministin» wie auch «Aktivistin» lehnt sie jedoch für sich ab; solche Schubladen seien unnötig und vereinfachend, erklärt sie. Doch hinter dieser Einstellung steckt wohl auch zu einem guten Teil Pragmatismus: Solange sie nicht als Feministin gelabelt ist, trifft sie bei der saudischen Obrigkeit und fundamentalistischen Klerikern auf weniger Widerstand und erreicht gleichzeitig auch im Westen eher jene Männer, denen Feminismus suspekt ist. Trotzdem besteht das Publikum zu einem enttäuschend geringen Teil aus Männern, al Sharifs Bemühungen, die mangelhaften Frauenrechte als mangelhafte Menschenrechte zu vermitteln, funktionieren – wie in so vielen anderen Fällen – offenbar nur bedingt. Es ist neben der streckenweise faden Moderation ein Wermuthstropfen der Veranstaltung, die durch die Stimmung und die Hauptperson grundsätzlich positiv in Erinnerung bleibt. Ein Highlight liefert auch Schauspielerin Ariela Sarbacher, die, passend zu den jeweiligen Gesprächsthemen, drei Auszüge aus «Losfahren» vorliest (von denen der zweite leider einiges zu lang ist). Ihre Stimme trifft jenes Bild, das sich das Publikum von al Sharif machen konnte, vorzüglich: Selbstbewusst, aufmerksam, genau beobachtend und analysierend. Al Sharif selbst sitzt dann jeweils hochkonzentriert in ihrem Sessel auf der Bühne und versucht herauszufinden, um welche Passage es sich handelt. Sie lächelt, sobald sie es weiss und ergänzt im Anschluss gleich noch, was ihr dazu wichtig ist. Man kann erkennen, dass hinter ihrem Auftreten viel Übung steckt und ahnt bei einigen perfekt ausformulierten Antworten, dass sie diese wohl nicht zum ersten Mal gegeben hat. Doch während des grössten Teils des Abends gewinnt man den Eindruck, dass sie nur als sie selbst vor den Zuschauenden sitzt – mal nimmt sie sich Zeit, um sich eine Antwort zu überlegen, mal verliert sie sich in Details, mal wiederholt sie sich. Das stört das Publikum nicht im geringsten; zwischendurch wird bei einigen Statements geklatscht, ein paar ältere Damen im Publikum, die wohl noch in der Schweizer Frauenbewegung für politische Rechte aktiv waren, nicken wissend bei manchen Erfahrungen al Sharifs
Hoher Preis für die Freiheit
Überhaupt ist man schockiert und beeindruckt ob dieser Frau auf der Bühne – schockiert darüber, welchen Preis sie für ihr scheinbar simples Anliegen bezahlen muss, beeindruckt, weil sie bereit ist, diesen zu bezahlen. Ihren Sohn aus erster Ehe hat sie in Saudi Arabien zurücklassen müssen und kann ihn nur ab und zu besuchen, ihrem neuen Mann und dem zweiten Sohn wird die Einreise hingegen verweigert: Ihre beiden Söhne sind einander noch nie offline begegnet. Und als sie über das Gefängnis spricht, in dem sie neun Tage verbringen musste, versagt ihr zum ersten mal an diesem Abend die Stimme, sie stockt und bricht ab, setzt wieder an. «Diese Gefängnisse, voller Kakerlaken und total überfüllt, die sind dazu da, um Menschen zu entmenschlichen», sagt sie schliesslich, den Tränen nahe. Sie kämpft um ein Lächeln und ist innert weniger Sekunden wieder in ihrem modus operandi, optimistisch, zuversichtlich, unverwüstlich: Al Sharif, die Steh-auf-Frau, die das patriarchale Saudi Arabien zu Boden bringen will.
Kurz vor Schluss wird sie dann noch gefragt, ob sie in Australien eigentlich auch ein Auto habe. «Ja, und alle Journalisten wollen mich beim Fahren fotografieren», sagt sie lachend, «dabei fahre ich gar nicht gerne Auto.» Und trotzdem möchte sie unbedingt zurück nach Saudi Arabien, Autofahren.