Gore mit der nötigen Ergänzung
Am 8. Oktober 2017 feierte Al Gore's neuer Film, die Fortsetzung von "An Inconvenient Truth", in der Schweiz Premiere. Der Film vermag nichts Neues zu berichten, was die Dringlichkeit und Aktualität seiner Botschaft jedoch nicht schmälert.
Zehn Jahre nachdem der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore in seinem ersten, inzwischen weltbekannten Film über den Klimawandel als Hauptdarsteller fungiert hat, doppelt er nun mit der Fortsetzung „An Inconvenient Sequel“ nach. Die Schweiz-Premiere fand letzten Sonntag ganz mondän am Zurich Film Festival statt, gleich nach dem neuen Streifen von Roman Polanski und dem aktuellen Film mit Emma Stone - und in Anwesenheit von Al Gore höchstselbst. Die zweite Aufführung hierzulande (paradoxerweise „Vorpremiere“ genannt) wurde einen Tag später im Winterthurer Kiwi Kino veranstaltet; hier stellten die lokale Klimaschutzorganisation myblueplanet und „Mirjam vom WWF“ das Rahmenprogramm dar; der Star des Abends war der FDP-Stadtrat Stefan Fritschi. Vor rund hundert Zuschauenden – der Saal ist ausverkauft – spricht zuerst Daniel Lüscher, der Gründer von myblueplanet, darüber, wie ihn der erste Teil „An Inconvenient Truth“ angeregt habe, seine eigene Klimaschutzbewegung zu starten. Fritschi wünscht sich danach einen „goldenen Herbst mit viel Sonne“ für unser aller Gemüt und die Solarzellen auf seinem Hausdach und zum Schluss erinnert Praktikantin Andrea daran, dass in absehbarer Zukunft keine zweite Erde zur Verfügung stehen wird. Danach geht der Film los, das Publikum ist entspannt und durch diese klugerweise sehr kurzgehaltene Einführung motiviert, mehr zu erfahren.
Keine Überraschungen
„An Inconvenient Sequel“ entpuppt sich als genau das, was der Titel verspricht: die Fortsetzung zu einem Film, der die Welt damals nachhaltig bewegt hat. Mit dem zweiten Teil setzt ein neues Regie-Duo auf altbewährte Bilder aus dem ersten Teil: Al Gore auf schmelzendem Arktis-Schelfeis, Al Gore bei einer seiner Präsentationen vor tausenden Menschen, Al Gore in eleganten Sesseln im Gespräch mit Politikern von Weltrang. Alles bekannt, aber alles auch immer noch aktuell, weshalb der Vorwurf mancher Kritiker, der neue Film zeige genau dasselbe wie der alte, etwas ungerecht anmutet: Weder haben sich die Klimaextreme in der Arktis, noch Al Gores Kampf und schon gar nicht der Widerstand von Seiten der Ölkonzerne und der amerikanischen Politik geändert. Unter diesen Umständen ist es faktisch unmöglich, eine in weiten Teilen andersartige Fortsetzung zu drehen. Ob es vielleicht hilfreich gewesen wäre, den Fokus ein wenig von Al Gore als Person wegzurücken um anderen Akteuren und Akteurinnen dieser Bewegung mehr Platz einzuräumen, daran werden sich die Geister scheiden. Unbestritten ist wohl indessen, dass Gore eine zentrale Figur im internationalen Klimaschutz darstellt und er als Hauptperson einer Dokumentation souverän und vermittelnd eine gute Figur macht. Sogar über seinen ehemaligen politischen Erzfeind, George W. Bush, der sein Traumprojekt, den Klima-Satelliten DSCOVR einstampfte, berichtet er nüchtern und ohne Bitterkeit. Die offensichtliche Selbstüberschätzung seiner eigenen Rolle bei der Pariser Klimakonferenz 2015 (die bedauerlicherweise einen vergleichsweise grossen Teil des Film ausmacht), stösst in diesem Zusammenhang umso mehr auf und erinnert daran, dass er auch als Alt-Politiker noch perfekt mit den Mechanismen der Eigenwerbung vertraut ist.
Trotz Enttäuschungen optimistisch
Er begeht hingegen nicht den Fehler, die Fortsetzung von „Inconvenient Truth“ zu einer „Ich-habs-euch-ja-schon-immer-gesagt“-Show verkommen zu lassen. Er zeigt extreme Wetterphänomene, Taifun Haiyan, ein überflutetes Miami, ausgetrocknete chinesische Ackerböden, alles aus dem Zeitraum zwischen 2006 und 2016 und lässt sich bloss einmal dazu hinreissen, das Eintreffen eines von ihm befürchteten Szenarios zu betonen: die Überflutung der 9/11-Gedenkstätte. Diese war eine zentrale - und laut Al Gore die am meisten kritisierte - Prognose des ersten Teils; tatsächlich war er dafür vor allem von republikanischer Seite (jedoch nicht nur) medial gelyncht worden. Doch auch bei dieser Schilderung ist keine Spur von Überheblichkeit zu finden, eher prägt Enttäuschung und Trauer seine Stimme, die aus dem Off zu uns spricht.
Und doch gibt er gibt sich unverwüstlich optimistisch und zeigt glücklicherweise nicht nur das auf, was schlecht läuft, sondern thematisiert auch Entwicklungen, die zuversichtlich stimmen: Dass die Investitionen im US-Strommarkt zu drei Vierteln in Wind- und Solarenergie fliessen. Dass viele Kommunen und sogar ganze Länder auf einhundert Prozent erneuerbare Energien setzen. Dass diverse Firmen im Silicon Valley wie verrückt an alternativer Energiegewinnung und verbesserter Speichertechnik tüfteln. Was er aber den kleinen Leuten, den Nicht-Politikerinnen, den Nicht-Bankern, den Nicht-Ingenieurinnen als Botschaft mitgeben will und kann, bleibt unklar. Offenbar hat Gores jahrzehntelanger Aufenthalt in der Sphäre der Reichen und Mächtigen ihn abgestumpft gegenüber dem Potential, das jede und jeder auf der persönlichen Ebene ausschöpfen könnte.
Nachhaltig unterhalten
Und an diesem Punkt greift zum Glück das Rahmenprogramm aus Vertretern und Vertreterinnen von myblueplanet und WWF, die mit natürlich vorhandenem Eigeninteresse, aber sehr hoffnungsvermittelnd ihre Aktionen bewerben. Wer will, kann Nationalräte mit Postkarten dazu auffordern, klimafreundlich abzustimmen oder sich ein Bäumchen aussuchen. Meine Begleitung hätte gerne eine Birke, ich wünsche mir einen Holzapfel. Praktikantin Andrea sucht uns die Bäumchen heraus, und ist gleich ein wenig zerknirscht; leider sind keine Holzäpfel mehr vorhanden. Ich entscheide mich ebenfalls für eine Birke, daran hängt ein kleiner Zettel mit Infos zur optimalen Pflege und einer Erklärung, wieso Bäume wichtig sind fürs Klima. Und genau deshalb wird die Aufführung im Winterthurer Kiwi wohl auch stärker nachwirken als jene am Zurich Film Festival.