Was Leute treiben
Das Fotomuseum in Winterthur zeigt am Beispiel verschiedener Darstellungen von Hobbys, wie Privates öffentlich wird. Das ist witzig und klug zugleich.
In einer italienischen Quizshow konnte John Cage 24 Namen für den gleichen Pilz nennen und dank dieses Wissens 10'000 Dollar gewinnen. Wer hätte gedacht, dass John Cage, einer der bedeutendsten Komponisten des letzten Jahrhunderts, in seiner Freizeit Pilze sammelte? Vermutlich niemand. Denn ein «Hobby» ist – wenigstens dem Prinzip nach – eine rein private Beschäftigung, eine Tätigkeit also, die abseits der Öffentlichkeit ausgeübt wird. In Wahrheit überschneiden sich Privat- und Berufsleben aber dauernd. Und vor allem immer mehr, wie die aktuelle Ausstellung im Fotomuseum Winterthur zeigt.
Privat versus publik
Drei Jahre haben die Kuratorin und ihre beiden Kollegen an «The Hobbyist» gearbeitet, neun Monate hat eine vierte Person in die Recherche gesteckt. Herausgekommen ist eine farbenfrohe, multimediale und bisweilen auch ein bisschen verrückte Sammelausstellung. Sie zeigt verschiedene Konzepte von Freizeitgestaltung, die in den letzten 60 Jahren entstanden und künstlerisch verarbeitet worden sind. Aber nicht nur die fotografische Darstellung von Hobbys, sondern auch die Fotografie selbst als Hobby spielt da eine Rolle.
Zu sehen sind etwa die Aufnahme eines Ehepaars auf einer FKK-Wiese von Diane Arbus, eine Tischtennis spielende Nonne aus einer Serie von Alec Soth oder ein sich entnervt anstarrendes Ehepaar auf einem Campingplatz, fotografiert von Bruce Davidson. Gemeinsam ist allen Bildern eine starke Intimität, die daher rührt, dass sie Menschen in einer Privatsphäre zeigen, die ohne Bewusstsein um Publikum bestritten wird. Die Frage nach der Grenze zwischen Öffentlichem und Intimem zieht sich durch die gesamte Ausstellung; besonders in den neueren Arbeiten. Hier verschwimmen sogar noch weitere Grenzen: Viele der Exponate sind sogenannte Found-Footage-Projekte, also Filme oder Filmstills aus fremdem, zumeist dem Internet entnommenem Material. Damit kommt nebst der künstlerischen Dokumentation des Hobbys auch die (Selbst-)Darstellung der «Hobbyists» ins Spiel.
Einen Besuch wert
Auf eindrückliche Art und Weise zeigt die Ausstellung, wie die Freizeitgestaltung als Gegenentwurf zur strukturierten Alltagswelt immer auch utopischen Charakter hat. Im Hobby steht allen alles offen. Freiheit, Selbstverwirklichung und sogar Kunst können in der Freizeit erreicht oder gemacht werden. Ob das auf dem Motorrad, in Aussteigersiedlungen oder beim Sprengen von Autowracks realisiert wird, spielt dabei keine Rolle. Das hat auch die Werbeindustrie sehr schnell begriffen. Passenderweise sind im Katalog zur Ausstellung immer wieder alte Reklamen für Wohnwagen, Walkmans oder Videokameras zwischengeschaltet.
Was Besucherinnen und Besucher in Winterthur vor Augen geführt bekommen, ist, wie viel unsere Hobbys über uns und unsere Zeit verraten. Ob wir uns in sozialen Medien selbst inszenieren oder unser Privatleben vor fremden Augen verbergen. Egal, ob es auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, dass Menschen sich mit Kleidern ins Wasser werfen um sich später abzulichten oder neben dem Studium Computerprogramme schreiben wie Bill Gates vor 40 Jahren, es lässt sich viel daraus ablesen. Und wenn Mitkurator Thomas Seelig die Ausstellung einen «Versuch, das Konzept Hobby von möglichst vielen Seiten zu beleuchten» , nennt, dann kann dieser Versuch nur als absolut gelungen bezeichnet werden. ◊