Die «Bologna 2020»-Reform bringt eine Erstsemestrige zum Verzweifeln. Kevin Solioz

Hauptsache Nebenfach

Eigentlich wurden die kleinen Nebenfächer abgeschafft. Doch die Umstellung funktioniert nicht wie gewünscht.

21. September 2017

Franca Polita* will studieren. Wie Hunderte Gleichaltrige hat sie sich für ein Studium an der Universität Zürich entschieden. Und wie Hunderte Gleichaltrige hat sie sich durchs Vorlesungsverzeichnis gekämpft, Info-Veranstaltungen besucht und sich mit Freunden und Freundinnen ausgetauscht, um herauszufinden, was sie studieren möchte. Schliesslich entschied sich Franca: Französisch im Hauptfach und Politologie im Nebenfach soll es sein. Franca hat einen Plan.

Unmögliche Studienwahl

Der Plan wird aber durchkreuzt. Denn das Studienprogramm «Französische Sprach- und Literaturwissenschaft» existiert nur als kleines Hauptfach. Das ist nicht verständlich, werden doch die kleinen Hauptfächer im Rahmen der Studienreform «Bologna 2020» an der Philosophischen Fakultät schrittweise abgeschafft. Doch ein grosses Hauptfach Französisch existiert an der Uni Zürich nicht.

Franca ist nun vor eine schwierige Wahl gestellt: Sie kann Französisch im kleinen Hauptfach studieren und es mit einem anderen kleinen Hauptfach kombinieren – doch das würde bedeuten, dass Franca zwei Bachelorarbeiten schreiben muss. Diese Vorstellung behagt ihr nicht. Abgesehen davon läuft die Studienkombination von zwei Hauptfächern (90/90) ebenfalls aus. Es ist daher nicht empfehlenswert, sich für diese Kombination einzuschreiben. Alternativ könnte Franca das Hauptfach Französisch mit einem grossen und einem kleinen Nebenfach kombinieren (90/60/30). Das Problem hierbei: Die kleinen Nebenfächer wurden per Anfang letztes Semester – ebenfalls im Rahmen von Bologna 2020 – abgeschafft. Vier Ausnahmen wurden von der Fakultät bewilligt: Latein, Mittellatein, Griechisch und Rätoromanisch.

Franca will nicht stur sein. Sie entscheidet sich, neben Französisch und Politologie ein kleines Nebenfach dazuzuwählen.

Sie wählt ein fakultätsfremdes Nebenfach: Hermeneutik an der Theologischen Fakultät. Das elektronische Buchungssystem schluckt die Anmeldung. Und auch in der offiziellen Immatrikulationsbescheinigung im April 2017 wird ihr die Studienkombination Französisch/Politologie/Hermeneutik bestätigt.

Böse Überraschung

Wenige Wochen später die böse Überraschung: Die Universität teilt Franca in einem ausserordentlichen Schreiben mit, dass die von ihr gewählte Fachkombination nicht zulässig sei. An der Philosophischen Fakultät ist es nicht mehr möglich, kleine Nebenfächer anderer Fakultäten zu studieren. Für Franca bedeutet das: Aus dem kleinen Nebenfach Hermeneutik wird nichts. Stattdessen wird sie gezwungen sein, eines der vier verbleibenden kleinen Nebenfächer an der Philosophischen Fakultät zu studieren.

Franca ist verunsichert: Sie ist neu an der Uni, kennt die Strukturen noch nicht. «Es kann doch nicht sein, dass ich die einzige bin, die solche Mühe mit der Immatrikulation bekundet.» Franca fragt sich, warum sie keine Hilfe von der Universität erhält. Vom Sekretariat wird sie immer wieder vertröstet.

Schliesslich formuliert sie ein Gesuch, in dem sie die Universität bittet, sie für das kleine Nebenfach Hermeneutik zuzulassen. Doch die Uni bleibt hart und lehnt das Gesuch ab.

In den sauren Apfel gebissen

Was also tun? Franca beisst in den sauren Apfel und meldete sich nebst Französisch im Hauptfach und Politik im grossen Nebenfach zusätzlich für Latein im kleinen Nebenfach an. Das, obwohl sie gar kein grosses Interesse daran hat, Latein zu studieren. «Ich muss für mein Französischstudium sowieso das kleine Latinum nachholen. Da will ich Latein nicht auch noch als Fach studieren.»

Die Frage stellt sich, was im Fall von Franca schiefgelaufen ist. «Bologna 2020» möchte nur noch die Fächerkombination Major/Minor (120/60) zulassen. Wie kann es da sein, dass der Studiengang Französisch – immerhin eine Landessprache – nicht mit diesem System kompatibel ist? Wie kann es sein, dass jemand, der Französisch im Hauptfach studieren will, momentan nur aus Möglichkeiten auswählen kann, die innert zwei Jahren auslaufen und ersetzt werden?

Unangenehme Situation

Die Seminarvorsteherin des Romanischen Seminars, Professorin Tatiana Crivelli Speciale, ist sich des Problems bewusst. Sie empfindet die momentane Situation als «sehr unangenehm». Bei der Einführung des Bachelorsystems 2006 sei die gängige Hauptfachgrösse auf 90 ECTS definiert worden. Französisch und auch Spanisch sind zwei von insgesamt elf Bachelor-Hauptfachprogrammen, die noch nicht als grosses Hauptfach studiert werden können. Nun werden die 90er-Hauptfächer mit der neuen Reform hinfällig. «Als die Abschaffung der kleinen Nebenfächer spruchreif wurde, hat die Institutsversammlung des Romanischen Seminars einen Vorstoss im Fakultätsausschuss der Philosophischen Fakultät beschlossen, um kurzfristig neue Programmformate für 120 ECTS-Punkte im Französischen und Spanischen einzuführen. Das mit dem Ziel, diese Programme weiterhin mit 60er-Nebenfachprogrammen kombinierbar zu erhalten.» Leider sei dieser Vorstoss nicht erfolgreich gewesen. Deshalb besteht am Romanischen Seminar bis Herbstsemester 2019, wenn «Bologna 2020» definitiv umgesetzt sein wird, die unglückliche Situation, dass einige Studienprogramme nicht oder nur teilweise miteinander kombiniert werden können.

Vorderhand bleibt dem Romanischen Seminar nichts anderes übrig, als mit von den Schwierigkeiten betroffenen Studierenden das individuelle Gespräch zu suchen: «Dazu gehört unter anderem, dass neue Fächer und Kombinationen ins Spiel gebracht werden, da die grosse Anzahl von studierbaren Fächern vielen Studieninteressierten gar nicht bekannt ist.»

«Problemlos studierbar»

«Ein Schnellschuss droht», hat die ZS im vergangenen Jahr getitelt, als «Bologna 2020» publik wurde. Dieser Schnellschuss ist nun eingetreten. Der Studiendekan der Philosophischen Fakultät, Professor Müller Nielaba, relativiert: «Alle Programme des Romanischen Seminars sind absolut problemfrei studierbar», sagt er. Das Problem beim Studienprogramm Französisch sei, dass ein kleines Hauptfach nicht einfach so in ein grosses umgewandelt werden könne. «Das setzt eine Änderung der Studienordnung voraus. Da aber auf das Herbstsemester 2019 ohnehin die neue Rahmenverordnung an der Philosophischen Fakultät in Kraft tritt, wäre eine solche Änderung sinnlos gewesen.» Ausser Verwirrung und einen grösserem administrativen Aufwand hätte ein solches Vorgehen nichts gebracht. Müller Nielaba betont: «Niemand wird im Geringsten gezwungen, eines der letzten vier kleinen Nebenfächer zu studieren.» Er rät Franca stattdessen, sich vorerst für Politologie im Hauptfach und Französisch im Nebenfach einzuschreiben – also genau die gegenteilige Kombination, die Franca sich eigentlich gewünscht hätte. Ab 2019 könne sie dann problemlos auf ihre Wunschkombination umbuchen.

Lösung nicht in Sicht

Franca hätte sich gewünscht, dass man sie besser über die bestehenden Schwierigkeiten informiert. Nun weiss sie nicht, was sie machen soll. «Hätte ich gewusst, dass Französisch an der Universität Zürich so schwierig zu studieren ist, hätte ich in der Romandie studiert.»

Wahrscheinlich wird sie sich nun an die Studienberatung wenden. Denn immerhin hat die Universität ihr angeboten, sie falls gewünscht kostenlos auf eine andere Kombination umzubuchen. Doch davon kann sich Franca auch nichts kaufen. Denn das würde voraussetzen, dass es eine Lösung gibt, sich in das Studium ihrer Wahl einschreiben einzuschreiben. Diese Lösung ist momentan nicht in Sicht. Franca hatte einen Plan. Er wurde ihr von «Bologna 2020» bis auf Weiteres zunichte gemacht. ◊