Feministin, Künstlerin, Pionierin
Doris Stauffer schrieb ein Stück Zürcher Geschichte. Auch mit 80 Jahren denkt sie nicht ans Aufhören.
Die Feministin, Künstlerin und Pionierin Doris Stauffer ist mit 82 Jahren verstorben. Vor drei Jahren war unsere Redaktorin Monica Danuser bei ihr zu Besuch.
Ein riesiges Gemälde hängt über dem Esstisch, kein Stuhl im Wohnzimmer ist gleich wie der andere, und Postkarten aus aller Welt zieren die Wände. In dieser Wohnung muss eine kreative Person leben. Sie gehört der Zürcher Künstlerin Doris Stauffer. Momentan stapeln sich überall Bücher, Ordner und Notizen. Diese sind Vorbereitungen für ein Buch über ihr Lebenswerk, das nächstes Jahr erscheint. Stauffer erzählt, dass sie zurzeit mit den zwei Herausgeberinnen Simone Koller und Mara Züst daran sei, es fertigzustellen. Das sei eine anstrengende, aber auch schöne Arbeit. «Jetzt ist die Zeit der Ernte gekommen», freut sie sich.
Die Künstlerin ist heute 80 Jahre alt, was man ihr kaum anmerkt. Wenn sie spricht, gestikuliert sie mit den Händen, sie lacht viel, und ihre blauen Augen wirken hellwach. Jede Szene, die sie erzählt, kann man sich bildlich vorstellen, und es verwundert nicht, dass sie bereits als junge Frau mitreissende Ideen hatte.
Die Frau gehört in die Küche
Stauffer erlernte in den 1950er Jahren den Beruf der Fotografin. Kurz nach ihrem Abschluss wurde sie schwanger und heiratete ihren damaligen Freund Serge Stauffer. Er war ebenfalls Fotograf. Doris Stauffer hängte ihren Job an den Nagel und widmete sich dem Haushalt und den Kindern, denn zu dem ersten kamen bald zwei weitere dazu. Aber sie betrieb ihr kreatives Schaffen weiter. Weil das Geld knapp war, begann Stauffer aus ausrangierten Fenstern und anderen alten Objekten, die sie im Haus fand, Kunst zu machen. Schon die ersten Werke waren eine Kritik an der Frauenrolle. Richtig als Künstlerin wahrgenommen wurde sie damit jedoch nicht, und Stauffer musste feststellen, dass man sie lieber in der Küche als im Atelier sah. An den Gesprächen, die ihr Mann mit Tinguely oder Duchamp führte, durfte sie nur selten teilnehmen. «Ich war ständig die Nörgelnde, es gefiel mir gar nicht, nur für den Haushalt zuständig zu sein», so Stauffer. Dabei kann sie ihr Grinsen nicht ganz verstecken. Wer gehört werden wollte, musste eben ein wenig provozieren. Dass sie auf dem richtigen Weg war, wurde ihr spätestens nach der Lektüre von Iris von Roten klar. Diese sorgte in der Schweiz 1958 mit ihrem Buch «Frauen im Laufgitter» für Furore. Auch Stauffer wollte ihre feministischen Forderungen öffentlich kundtun. Ende der 1960er Jahre gründete sie deshalb mit einigen Gleichgesinnten die Frauenbefreiungsbewegung (FBB) in Zürich.
Pille und Peniswärmer
Sie erinnere sich noch genau an ihre erste Rede bei der FBB, die sie damals auf dem Bürkliplatz gehalten hat. «Was schafft ihri Frau, Herr Bünzli?», begann sie und gab sich die Antwort gleich selbst: «Nüt, sie macht dr Huushalt!» Mit Humor und Ironie wollte sie für die Rechte der Frauen einstehen und den Männern zeigen, dass Frauen mehr können als Kochen, Waschen und Bügeln. Stauffer stört sich daran, dass das Wort Feministin noch immer negativ konnotiert ist. «Wir hatten nichts gegen Männer, wir wollten nur, dass sie uns Frauen respektieren und dass wir mehr Rechte und Freiheiten bekommen.» Spätestens seit der Gründung der FBB war Doris Stauffers Kunst auch immer ein Engagement für die Rechte der Frau. So zeigte sie viel Einfallsreichtum bei den Protestaktionen der FBB. Einmal habe sie sogar vorgeschlagen, einen Peniswärmer zu stricken. Diesen wollte sie Politikern schenken, als Orden für ihr Engagement zur Förderung des Patriarchats. Die Wärmer kamen leider nie zum Einsatz, aber Doris Stauffer muss noch heute über diese Idee lachen.
Die entkrampften Frauen
Mitte der 1960er Jahre begann Doris Stauffer, ihr künstlerisches Denken auch an Andere weiterzugeben. Sie unterrichtete eine Klasse an der Kunstgewerbeschule «Farbe und Form F+F», in der auch ihr Mann Serge arbeitete. Damals war ihr jüngstes Kind zehn Jahre alt und sie sehnte sich, wieder in die Arbeitswelt einzusteigen. Sie nannte den Unterricht «Teamwork», weil sie glaubte, dass angehende Künstler gemeinsam viel mehr erreichen könnten als alleine. Stauffer wollte Kunst leben, nicht machen. Die Kunstprojekte bestanden aus Musik, Fotografie, Abfall und Experimenten mit dem Körper. Bald störte sich der Rektor an dieser unkonventionellen Art des Unterrichts, worauf die Stauffers, andere Lehrer und die Klasse selbst kündigten. 1971 gründeten Serge und Doris Stauffer mit anderen Exponenten der Zürcher Kunstszene eine eigene Schule. Sie nannten sie «Schule für experimentelle Gestaltung F+F». Diese existiert heute noch, wenn auch in veränderter Form. In der Schule hielt Doris Stauffer ihre sogenannten «Hexenkurse» ab. Kurse, an denen nur Frauen teilnehmen durften und deren Ziel es war, «Frauen zu entkrampfen». Die Teilnehmerinnen sollten beispielsweise die Problemzonen ihres Körpers fotografieren und lernen, sich selbst zu akzeptieren und selbstbewusster zu werden. Der Kurs war so erfolgreich, dass er mehrmals durchgeführt wurde. Stauffer lehrte noch bis in die 1980er Jahre an der «F+F».
Eine Frau – viele Talente
Danach war für Doris Stauffer – mittlerweile Mitte 60 – noch lange nicht Schluss. Sie wechselte das Medium und begann zu schreiben. Bis sie 75 Jahre alt war, schrieb sie regelmässig Kolumnen, Zeitschriften-Artikel und Buchbeiträge. Und nächstes Jahr erscheint nun ihr Buch. «Jetzt habe ich endlich die Chance, mir alles anzusehen, was ich in den letzten Jahren produziert habe. Das möchte ich in Ruhe geniessen.» Dies mag man ihr aber nicht ganz glauben. Denn schon gesteht sie, dass sie sich bereits überlege, was sie sonst noch anstellen könnte. Schliesslich habe sie früher Cello gespielt, gemalt, gebastelt, geschrieben und genäht. Vielleicht erfinde sie einen neuen Beruf, den sie auch im hohen Alter noch ausüben kann. «Es ist nach wie vor mein Ziel, Kunst zu leben. Und am liebsten würde ich damit die ganze Welt verzaubern.» ◊