Von guten Tüchern und blutverschmierten Laken

4. April 2017

Von guten Tüchern und blutverschmierten Laken

Die Verpackung einer Sache färbt unweigerlich auf ihren Inhalt ab. Wie ein Verweis darauf nahm sich eine Stippvisite im Opernhaus aus. So stösst, wer das Programmheft durchblättert, zunächst auf Chanel und Breguet. Dabei sollte doch Orest, von Luxus wie von Packpapier umhüllt, an diesem Abend den Protagonisten geben.

Die meisten Besucherinnen und Besucher stellten, man kann es sich denken, keine armen Schlucker dar. Sie konnten sich etwas Haute Couture schon leisten und zeigten das auch in den güldenen Fluren. Obschon Kleidervorschriften offiziell inexistent sind, ist ein gewisser Dresscode doch angeraten. Nicht nur im Bademantel würde man hier ein Statement machen. Auch mit Jeans könnte man sich einbilden, hie und da ein paar missgünstige Blicke aufzufangen.

Dass die Besuchenden neben den guten Tüchern auf dem Leibe auch wirklich gut betucht sind, legen zumindest die Ticketpreise nahe. Die guten Plätze kosten 100, die besten auch mal 300 Franken. Studierende sind aber von der Hochkultur nicht ausgeschlossen: Sie profitieren von einem sagenhaften Rabatt und zahlen für die verbleibenden Plätze (ganz gleich, welcher Klasse) 20 Franken.

Im Saal angekommen, können sich auch Langzeitstudis wundersam verjüngt fühlen. Zahlreich auch an dieser Veranstaltung das bereits etwas ältere Publikum, die nicht etwa mit Klassikern lockte. Manfred Trojahn stand auf dem Programm, ein moderner, tatsächlich noch lebender Tonkünstler.

Um den Parkettplatz glänzen rings die Balkone, von der Decke blickt, verschwenderisch umrankt, Herr Wagner auf die Gesellschaft herab. Parfümschwaden – die etwa den musikliebenden Thomas Bernhard aus der Oper getrieben hatten – können keine wahgenommen werden. Das mag aber auch an einem ramponierten Riechorgan und weniger an der Operngesellschaft liegen.

Dann erlöscht das Licht. Die Mini-Oper (Aufführungsdauer rund 80 Minuten) beginnt. Von oben, von unten ein Zischen; ein scharfes, ein schneidendes «S»: Orest, Orest, Orest!

Orest schreckt auf, blickt wild um sich. Starr, wie eine Untote, sitzt im Hintergrund seine Mutter, ihre Laken voll mit Blut. Er hat sie ermordet, diese zuvor seinen Vater. So läuft das im alten Griechenland

Wie anders plötzlich, wie viel anders diese Szenen. Und diese Musik, dieser Klang, dieses beständige Aufschreien des Orchesters – das passt nicht zur aufrechten Bürgerlichkeit, zu Lackschuhen und zum Nippen am Cüpli. Die Frage sei erlaubt: Würde sich das Publikum einen solchen Plot auch antun, wenn er sich auf bescheideneren Brettern abspielte?

Orest, der gar nicht morden will, wird derweil auf der Bühne zu neuer Bluttat getrieben. Niemand Geringeres als Helena, die schönste aller Frauen, erliegt nun seinem Dolch. Gerechtigkeit hat ihn dazu getrieben, die Morde sind legitim; legitime Rache (schliesslich hat die Gute einen ganzen Krieg ausgelöst). Doch als er auch noch ihre Tochter meucheln soll, kann er nicht mehr, verfängt sich in ihrem Blick und wankt von dannen.

Als sich der Saal erneut erhellt, erstahlt wieder schöne alte Welt: hehre, herausgeputzte Bürgerlichkeit. Nachdem sich Orest aus dem Packpapier herausgeschält hat, wird er nun wieder davon zugedeckt. Freilich, man tut der Oper Unrecht, wenn man sie nur damit, nur mit dem Drumherum verbindet. Es ist Verpackung, und auch wenn diese zugegebennmas-sen abfärbt: Der Inhalt lohnt sich. [tob]

Studierende können mit ihrer Legi ab 13.- in die Oper: www.opernhaus.ch.