Eine von vielen. Labormaus im Laboratory Animal Services Center.

Versuchen geht über Tierwohl

Tierversuche sind ein ethisches Dilemma. Sie werden auch an der Universität Zürich durchgeführt.

4. April 2017

Wenig erhitzt so zuverlässig die Gemüter wie das Thema Tierversuche. Tonangebend sind vor allem absolute Standpunkte. Dabei stellt sich die Problemlage als Dilemma dar: Auf der einen Seite steht der Mensch, auf der anderen das Tier. Ein verengter Fokus auf nur eine Partei ist wenig zielführend. Nicht entziehen können sich dieser ethischen Debatte die Universitäten, da die Forschung auf Tierversuche nicht verzichten mag. Daher beschäftigt die UZH zwei Tierschutzbeauftragte, Michaela Thallmair und Susi Heiden. Ihre Aufgabe ist es nicht nur, dafür zu sorgen, dass die Anzahl Versuche reduziert wird, sondern auch, das Wohlergehen der Versuchstiere zu verbessern und die Forschenden im Bereich Tierschutz zu schulen.

Unterschiedliche Tierversuche

Thallmair und Heiden beraten Forschende beispielsweise bei der Planung von Experimenten, fungieren als Kontaktpersonen und sind für die Kontrolle der laufenden Versuche verantwortlich. Dabei können sie nicht nur auf Mängel hinweisen, sondern Veränderungen notfalls auch gegen den Willen der Forschenden durchsetzen. Es sei jedoch kaum je dazu gekommen, dass sie Änderungen hätten forcieren müssen. Heiden und Thallmair versichern: «An der UZH hat der Tierschutz unter den Forschern einen sehr hohen Stellenwert.» Um die entspre-

chende Sensibilisierung zu fördern, wird eine gute Auswahl an Aus- und Weiterbildungskursen angeboten, die neben dem fachlichen Wissen vor allem auch eine Denkweise vermittelt, die das Tierwohl ins Zentrum stellt, erklärt Heiden.

Wichtig zu verstehen ist beispielsweise, dass sich nicht alle Tierversuche gleichsetzen lassen. Kein Versuch in der Schweiz entspricht dem grausigen Bild einer Katze mit angebohrter Hirnregion, das man aus den sozialen Medien kennt. Zwar kommt es tatsächlich zur belastenden Krebsforschung an Mäusen, als Tierversuch gilt aber auch eine harmlose Untersuchung von Kaulquappen im Rahmen eines Artenschutzprojekts. Da es aber nicht sinnvoll ist, alle diese Versuche über einen Kamm zu scheren, wird eine Belastungsskala angewendet, die die Schweregrade 0 bis 3 kennt. Dabei ist zu beachten, dass bereits die Kastration eines Haustieres unter die Kategorie 1 fällt. Eine Fütterungsaktion liegt bei Schweregrad 0. Irritierend scheint hingegen die Zuordnung des tierschutzkonformen Tötens zu eben diesem Schweregrad. Ihn mit einer Fütterungsaktion gleichzusetzen, wirkt zynisch, folgt aber der inhärenten Logik des Tierschutzgesetzes, in dem der Wert des Lebens selbst ausgeklammert und stattdessen auf das Leiden fokussiert wird.

Beinahe 80 Prozent der Versuchstiere an der Universität Zürich sind Mäuse. Im Jahr 2015 wurden knapp 65’000 Mäuse zu Forschungszwecken eingesetzt. Neben Nagetieren bilden einige wenige Schafe die einzige andere Versuchstiergruppe, mit welcher Versuche des Schweregrades drei durchgeführt werden. In diese Kategorie gehören tödlich verlaufende Infektions- und Krebskrankheiten.

Reichlich Platz. Bis zu fünf Mäuse werden in solchen Käfigen untergebracht.

Reichlich Platz. Bis zu fünf Mäuse werden in solchen Käfigen untergebracht.

Grosses Verbesserungspotential

Im Zentrum beim Umgang mit Tierversuchen steht das sogenannte 3R-Modell. 3R steht für replace, reduce und refine, also dafür, Tierversuche durch Alternativmethoden zu ersetzen, weniger Tiere pro Versuch zu verwenden und deren Wohlbefinden über das gesetzliche Mass hinaus zu fördern. Dem ethischen Prinzip, das erstamls 1959 formuliert wurde, hat sich mittlerweile die Mehrheit der westlichen Forschungsgesellschaft verpflichtet. Als häufigsten Verstoss gegen die 3R-Regeln, den Thallmair und Heiden bei ihren Kontrollen beanstanden, nennen sie isoliert gehaltene Nagermännchen. Das sei zwar gesetzlich verboten, doch seien Mäusemännchen, die einmal als Zuchttier benutzt wurden, praktisch nicht mehr zu resozialisieren. Sie verhalten sich höchst aggressiv gegenüber anderen Männchen und beissen einander im schlimmsten Fall tot. Um das zu verhindern, sollten die Männchen mehrfach begatten, nicht zu lange isoliert gehalten und im Anschluss baldmöglichst euthanasiert werden.

Auch wenn die Schweiz lange Vorreiterin in Sachen Tierschutz war, sehen die Tierschutzbeauftragten dennoch ein gros

-ses Verbesserungspotential. «Momentan besteht ein Defizit bei der Finanzierung von 3R-Projekten», so Heiden. Seit ein von Seiten des Kantons, Universitäten und der Industrie finanziell getragener Dachverband für 3R-Projekte entstehen sollte, ist die Geldverteilung praktisch eingefroren. Keiner möchte in Antizipation des nahenden Zusammenschlusses noch Gelder aus dem eigenen Topf bereitstellen. Dabei liessen sich doch gerade im Bereich Refinement mit geringem Aufwand Verbesserungen für das Tierwohl erzielen, sagt Heiden.

Finanziell aufwändiger, aber vielversprechend sieht Thallmair die Möglichkeiten im Bereich Alternativmethoden: Organs-on-a-chip sind Organgewebe auf einem künstlich hergestellten Zellträger. Hierbei können verschiedene Organgewebe wie zum Beispiel eine Lunge ein Herz miteinander verbunden werden. Damit ist es möglich, physiologische Prozesse viel zuverlässiger zu simulieren, als dies bei herkömmlichen, isolierten Zellkulturen der Fall ist. Bezogen auf die Grundlagenforschung befinden sich diese Ansätze allerdings noch in den Kinderschuhen und eine gezielte Entwicklung und finanzielle Förderung sind daher umso wichtiger.

Fehlende Kommunikation

Ein weiteres Problem ist bei der Kommunikation innerhalb des Forschungsfelds zu finden. All jene, die Laborarbeit durchführen, erleben immer wieder, dass viele durchgeführte Versuche bereits von anderen Forschungsgruppen getestet und verworfen wurden. Diese Resultate werden aber in der Regel nicht veröffentlicht. Was bei der gewöhnlichen Laborforschung ärgerlich ist, ist im Bereich der Tierversuche tragisch, stirbt doch bei jedem überflüssigen Versuch ein Tier zu viel. Deswegen verstehen sich die Tierschutzbeauftragten auch als Expertisenvermittlerinnen und schaffen Kontakte zwischen den Forschungsgruppen, damit sich Versuche mit Tieren, deren Scheitern vorausgesagt werden kann, nicht wiederholen. Laut Thallmair wären wissenschaftliche Journale, die Negativ-Ergebnisse publizieren, dabei sehr hilfreich. ◊

In Zusammenarbeit mit Charlotte Richter