Ghostwriting ist gar kein Gespenst, sondern Realität. Kevin Solioz

Grauzone Ghostwriting

Arbeiten von Ghostwriting-Agenturen stehen zwischen Plagiat und Dienstleistung.

4. April 2017

Menschen sind Meister der Auslagerung. Seit jeher geben wir Dinge, die wir selbst nur schlecht vollbringen können, an andere weiter. Eine geniale Art der Faulheit. Sie hat es uns ermöglicht, immer mehr Menschen auf immer mehr Gebieten für uns arbeiten zu lassen. Müssten wir alles selber machen, wo kämen wir hin?

Geistige Auslagerung

Ausgelagert wird vieles, darunter auch einiges, das wir selbst besorgen könnten. Beispiele dafür finden sich nicht nur im Wirtschaftsteil unserer Zeitungen. Auch in den hiesigen Bildungsstätten begegnet uns das Phänomen. Just da also, wo wirtschaftlicher Zwang noch nicht vorherrschen und ausschliesslich auf Eigenproduktion gesetzt werden sollte.

Flüstert die Muse mal nicht so vernehmlich, lässt sich bekanntlich ein Ersatz-Geist engagieren. Einer, der lediglich mit Schweizer Franken angeregt werden muss. Frei Haus liefert er dann, wozu man sich selbst nicht aufraffen mochte. Zum Beispiel eine Seminararbeit.

Zunächst aus Neugierde, berichtet ein Student, habe er die Seite eines Ghostwriters angesteuert. Da er eine Veranstaltung als überfordernd empfand, folgte auf die Neugierde Versuchung. In erster Linie müssen ja Kreditpunkte gesammelt werden. Ob diese mit einem tatsächlichen Wissenszuwachs korrespondieren, stehe letzten Endes nicht auf dem Papier.

Der Student studiert Geisteswissenschaften. Kumulatives Wissen ist dort weniger gefragt. Einige Veranstaltungen können einfach abgehakt werden, ohne dass die dort vermittelte Materie wieder relevant wird. Dabei ist klar: Idealerweise besteht das Studium aus mehr als einer blossen Jagd nach ECTS-Punkten. In unserer vom Markt bestimmten Gesellschaft hat Bildung um der Bildung willen indes wenig Platz. Die abgelieferte Arbeit war dann, räumt der Betreffende ein, desaströs. Ein Kauderwelsch, das irgendwie zusammengekleistert wurde. Der Dozent hat trotzdem sein Placet gegeben: Die Arbeit wurde angenommen. Auf dem von der Lehrkommission der Uni publizierten «Merkblatt für den Umgang mit Plagiaten» wird jedoch festgehalten, dass auch die Abgabe einer fremdverfassten Arbeit im weiteren Sinn ein Plagiat darstellt.

Illegales Plagiat

Die Abgabe einer solchen Arbeit kann also als nicht bestandene Studienleistung gewertet werden. Auch behält sich die Uni vor, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Die Ghostwriting-Agenturen und ihre Mitarbeitenden agieren hingegen im legalen Bereich: Die in Auftrag gegebenen Arbeiten werden von ihnen lediglich als Musterarbeiten deklariert, welche den individuellen Schreibprozess unterstützen sollen.

Ghostwriting-Unternehmen werben mit flexiblen Arbeitszeiten und mit dem Versprechen eines guten Gehalts um neue Mitarbeitende. Die Arbeit des Ghostwritings selbst scheint durchaus reizvolle Aspekte mit sich zu bringen, gerade für sprachaffine Menschen, die sich gerne breit gefächertes Wissen in verschiedenen Gebieten aneignen. Lorbeeren ernten wird man als Ghostwriter oder als Ghostwriterin allerdings nicht.

Die Agentur «Academic Ghostwriting» schreibt auf ihrer Website, dass sie mit ihrem Angebot die Chancengleichheit fördern wolle und vielbeschäftigten Studierenden beistehe. Dieses Argument ist äusserst fadenscheinig, da Ghostwriting, aus einer ökonomischen Perspektive betrachtet, keineswegs zur Chancengleichheit beiträgt. Vielmehr muss angeführt werden, dass die betreffenden Agenturen den Einzug kapitalistischer Prinzipien in das Bildungssystem unterstützen. ◊

In Zusammenarbeit mit Tobias Bolli