A woman´s place is with the resistance - Carrie Fisher dient als Inspiration

Die Menschen hinter den Transparenten

Die Menge, die am 18. März 2017 die Strassen Zürichs füllte, wurde von Aussenstehenden oft als Ganzes wahrgenommen. Der Women's March: eine Bewegung, eine Demo, eine Botschaft. Wie vielfältig die Bewegung tatsächlich ist, zeigen fünf Porträts.

28. März 2017

Ileana Heer

Die 75-jährige Ileana hat vor 40 Jahren angefangen bei Amnesty International zu arbeiten und ist seit circa 20 Jahren bei der Frauengruppe der Menschenrechtsorganisation aktiv.

«Ich schreibe die sogenannten Urgent Actions. Das sind Briefe für Frauen, die in Gefahr sind, sich zu Unrecht im Gefängnis befinden oder bedroht werden. Ich spreche mehrere Sprachen, was von Vorteil ist. Als ich damals anfing, hatte ich noch drei kleine Kinder und konnte nicht ständig zu den Sitzungen gehen. Also wurde ich von zu Hause aus aktiv und fing an zu schreiben. Ich habe davon geträumt, noch mehr zu tun, aber habe es mir einfach nicht zugetraut. Ich bin keine Lehrerin, keine Krankenschwester - ich bin eine ganz gewöhnliche Frau. Ich habe eine Familie, habe Kinder gross gezogen. Geflüchteten half ich, indem ich zum Beispiel Kartoffeln geschält oder Kleider und Schuhe sortiert habe. Aber ich stand auch schon tage- und nächtelang am Strand in Lesbos, als die Schlauchboote aus der Türkei kamen.

Inzwischen war ich schon fünf Mal in Griechenland. Ich habe unzählige Schicksale von Frauen auf der Flucht kennengelernt. Mit einer Frau bin ich besonders verbunden. Wir sprechen nicht dieselbe Sprache, also verständigen wir uns mit Herz und Hand. Zuerst floh ihre älteste Tochter alleine. Als diese in der Türkei stecken blieb, kam ihr Vater nach. Die beiden haben es gemeinsam in die Schweiz geschafft. Die Mutter sass lange Zeit mit den anderen drei Kindern in einem unserer Camps in Thessaloniki fest. Als sie einmal verzweifelt war und geweint hat, setzte ich mich neben sie, um sie zu trösten. Wir teilten einen Apfel und ich war einfach für sie da. Letzte Woche kam sie dann endlich in Zürich an. Nach vier Jahren konnte sich die Familie wieder in die Arme schliessen. Dieses Schicksal nahm ein gutes Ende. Leider sind die Zustände in Griechenland und der Türkei oft menschenunwürdig. Dagegen muss man etwas tun und das kann jeder.»

Christiane Forstnig

Christiane ist mit ihrem vierjährigen Sohn zum Women’s March gekommen. Sie setzt sich immer wieder mit dem System der gesellschaftlichen Geschlechtertrennung auseinander. Ihr aktuellstes Projekt soll den Diskurs über die Erfahrungen von Schwangeren enttabuisieren. Sie und ihr Team sammeln Erzählungen und planen, diese in einer abschliessenden Ausstellung zusammenzuführen.

«Ich bin Feministin und ich denke, alle Menschen sollten Feministinnen und Feministen sein. Menschenrechte sollten für alle gelten. Schon als Kind ist mir aufgefallen, wie Männer über Frauen reden. Ich habe miterlebt, wie meine Mutter und meine Tanten als dümmer verkauft worden sind als Männer. Im Gymnasium habe ich die Diskriminierung dann selbst erlebt. Später habe ich Gender Studies studiert, das hat meine Überzeugungen sicher gefestigt. Heute lebe ich in einer Beziehung, in der beide Elternteile dem Kind gleich viel Aufmerksamkeit schenken. Daher bin auch froh, dass mein Sohn heute da ist. Denn wenn es um die Frage geht, ob die Frau ein Kind haben und gleichzeitig einen Beruf ausüben kann, dann hängt das zwangsläufig auch vom Partner ab. Er wird das einmal ermöglichen und so für mehr Gerechtigkeit sorgen.»

Anna Stünzi

Anna ist im Vorstand der Grünen Schweiz. Die 26-Jährige hat gerade ihr VWL-Studium an der Universität Zürich abgeschlossen und fängt im Sommer ein Doktorat an der ETH an.

«Als ich Präsidentin der Jungen Grünen geworden bin, wurde in einem Artikel von mir berichtet. Darin wurde ich als Paradebeispiel für junge, gut aussehende Frauen missbraucht, die lediglich aufgrund dieser Attribute erfolgreich seien. Das war auch ihr Fazit zu meinem Erfolg. Es wurde kein Wort über die ganze Arbeit verloren, die ich geleistet hatte. Es ist heftig, so reduziert zu werden. Ich bin heute hier, um ein Zeichen zu setzten. Ich will Gleichberechtigung. Ich will, dass es für Frauen genauso einfach ist, eine Stelle als Professorin zu bekommen wie für Männer. Ich will, dass Diskussionen über Quoten überflüssig werden. Ich will, dass Männer die Möglichkeit haben, zu Hause bei ihren Kindern zu bleiben und dass das nichts Verblüffendes mehr ist. Ich will, dass man nicht mehr nur von Frauen und Männern, sondern auch von Trans*-Menschen spricht. Das zwanghafte Zuordnen zu Stereotypen muss aufhören und andere Lebensformen müssen akzeptiert werden.»

Alessandro, Tara, Emma und Alessandro

Die Schulfreunde sind alle separat zum March gekommen und haben sich zufällig in der Menge gefunden. Der 18-jährige Alessandro Kloukas hält das feministische Transparent die meiste Zeit hoch über seinem Kopf. Der «Hype» im Internet hätte ihn über Feminismus aufgeklärt, erzählt er.

«Erst dachte ich, dass feministische Bewegungen lediglich die Frau stärken wollen, doch dann habe ich erkannt, dass es schlicht um Gleichstellung geht. Und dafür stehe ich.»

Cecile Moser und Rahel Fenini

Cecile und Rahel (rechts) haben das neue Online-Magazin Fempop gegründet. Sie wollen darin einen weltoffenen Feminismus mit Popkultur verbinden. Rahel, die Gender Studies in Zürich studiert hat, erzählt, wieso sie es wichtig findet, sich für die Rechte aller Geschlechter einzusetzen:

«Ich arbeite bei der Fachstelle für Gleichstellung und erlebe es täglich: Auf dem Papier sind wir alle gleichgestellt, in der Realität sieht das jedoch anders aus. Da gibt es noch so Einiges zu tun in der Schweiz. Es gibt beispielsweise immer noch circa 20 Prozent Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Das sollte seit 1981 nicht mehr so sein und jetzt ist es 2017. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns alle zusammenschliessen und kämpfen. Sowohl Männer als auch andere Geschlechter sollten die Möglichkeit haben, ihre Rechte und Überzeugungen an einer Demo kund zu tun. Denn unter dem jetzigen System leiden nicht nur Frauen.»

Die neue Welle

Einen richtigen Feminismus gibt es nicht. Jede Frau, jeder Mann und jedes Kind interpretiert ihn für sich selbst neu. Neben den geübten Demonstrantinnen und Demonstranten fielen vor allem die vielen jungen Gesichter auf. Sie tun einem leid, weil sie in ihren Nylon-Jacken und ihren Stoffturnschuhen unter der Kälte und Nässe gelitten haben müssen – gleichzeitig machen ihre strahlenden Gesichter und Fäuste in der Luft Hoffnung auf die Zukunft. Auf einen neuen Feminismus.

Nach dem Marsch am 18.März lichtete sich der Bürkliplatz vor der Bühne unerwartet schnell. Die letzten Reden erreichten lediglich ein paar dutzend Leute. Es bleibt zu hoffen, dass diese neue Welle des Feminismus nicht ebenso schnell abebbt, die Politisierung der Jugend kein Trend bleibt und sich eine Generation bildet, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt.