Nach einem Jahr Wartezeit erschienen – «Hagard» von Lukas Bärfuss. zvg

Spannung und Anspannung im Kaufleuten

Am vergangenen Freitag stellte Lukas Bärfuss seinen neuen Roman vor, der schon vor einem Jahr hätte erscheinen sollen. Bei der Vernissage zeigt sich: Die Lektüre ist spannender als die Lesung es war.

20. März 2017

Es ist Freitagabend, der Saal des «Kaufleuten» ist voll. Doch die versammelten Menschen sind nicht Feierwütige, sondern Literaturinteressierte. Lukas Bärfuss tauft seinen neuen Roman «Hagard» und liest daraus vor. Der Roman liess lange auf sich warten. Umso spürbarer ist die Spannung im Saal, auch beim Autor und der Moderatorin. Bärfuss witzelt, er sei froh über die Tulpen vor ihm auf dem Tisch, auf die er sich konzentrieren könne. Nun ist der Roman also endlich da und schlägt über die Schweizer Grenze hinaus Wellen, ist nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse.

Von Spannungswellen ist während des Events jedoch nicht viel zu spüren, obschon das Publikum brav an den richtigen Stellen lacht und applaudiert. Bärfuss ist zwar ein prägnanter Redner, der seine Gedanken gut in Worte fassen kann, jedoch kommt die Diskussion zu kurz. Viele spannende Themen werden an diesem Promotionsevent angesprochen, jedoch auch wieder abgewürgt, um aufs Wesentliche zurück zu kommen, den Roman. Bärfuss erzählt beispielsweise von Momenten, in denen er keinen Akku mehr hatte und auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen war. Für ihn ermöglicht diese Schwäche Begegnungen, die sonst nicht stattfinden würden. Leider folgt darauf kein Gespräch über die Digitalisierung der Gesellschaft, obwohl sich dieses Thema auch im Roman wiederfindet.

Wildfang

Was an der Buchvernissage mässig gut funktioniert, gelingt Bärfuss in «Hagard» umso besser. Themen wie Digitalisierung, Erotik, Obsession, Tod, Globalisierung und Konsum werden fast voyeuristisch und durchaus kritisch beschrieben. Das Motiv der Jagd durchdringt den Roman, angefangen beim Titel. «Hagard» ist ein Begriff aus dem Jagd-Jargon und bedeutet «Wildfang». Er bezeichnet in der Wildnis gefangene Falken, die zur Jagd abgerichtet werden. Sie sind zwar tüchtig, aber auch handscheu. Auch der Roman mutet zuweilen als Wildfang an, die Sprache ist roh, manchmal gar unanständig und atemlos, man wird von der Geschichte mitgezogen.

Es ist die verstörende Geschichte von Philipp, die in «Hagard» erzählt wird. Philip ist ein solider und etwas langweiliger Zürcher Ende vierzig. Er verfällt an einem Märztag einer Frau in pflaumenblauen Ballerinas und folgt ihr unbemerkt in sein Verderben. Im Verlaufe seiner Jagd fährt er schwarz, verliert einen Schuh und seine Würde. Jedoch scheint er gleichzeitig auch eine gewisse Klarheit zu gewinnen und endlich ein Ziel zu haben, auch wenn sich dieses dem Lesenden nie gänzlich erschliesst. Phillip lässt nicht von seinem Opfer ab, obwohl der Akku seines Handys immer leerer wird, genau wie sein Magen. In dem Grade in dem die Technologie ihn verlässt, scheint ihm auch die Realität seiner Mitmenschen zu entrücken und umso wirrer wird auch die Sprache des Romans. «Hagard» ist ein vielschichtiger, anspruchsvoller Roman, der Zeitzeugnis und Zeitkritik sein will und dem dies in weiten Teilen auch gelingt.

Keine grosse Show nötig

Während die Vernissage einem Ballon glich, dem die Luft langsam entweicht, ist das Buch ein prall gefüllter Ballon, bei dem man bang darauf wartet, dass er mit einem lauten Knall platzt. Diese Spannung wurde einzig in die Lesung übertragen, als Bärfuss selber zwei Stellen aus «Hagard» vortrug. Ein gutes literarisches Werk braucht eben keine grosse Show, um Lesende in seinen Bann zu ziehen.