Nichts für Zartbesaitete: Die lebensechten Nachbildungen im Moulagenmuseum. Armanda Mura

Das Museum der kranken Haut

Syphilis, Pest und Pickel: Im Moulagenmuseum gibt es wenig Schönes zu sehen. Weshalb sich ein Besuch trotzdem lohnt.

28. Februar 2017

Ein Pilz, kreisrund, mit zerzauster Kontur. Wie eine unsorgfältig geschälte Orange schimmert die pelzige Oberfläche im Licht. Kleine weisse Flecken heben sich schuppenartig vom rot leuchtenden Grund ab. «Achtung, Fliegenpilz!», hätte jeder verantwortungsvolle Pfadileiter seine Schützlinge sofort belehrt. «Nicht anfassen, schon gar nicht essen, giftig!» Dass es aber einen zweiten, weitaus weniger berühmten Pilz gibt, auf den exakt dieselbe Beschreibung zutrifft, erfährt man nicht auf wochenendlichen Streifzügen durchs Unterholz. Man entdeckt ihn vielleicht ganz unverhofft vor dem Zubettgehen im Spiegel, oder man spürt ihn als leichtes Schürfen am Handballen, während man den sonst so zarten Rücken seiner Liebsten mit Lavendelöl verwöhnt.

Die Rede ist von Hautmykosen, fachchinesisch für Pilzinfektionen. Eine vor Ansteckung sichere Möglichkeit zur Bekanntmachung mit Pilzinfektionen und anderen Hauterkrankungen bietet das Zürcher Moulagenmuseum. Die weltweit bekannte Ausstellung zeigt realitätsgetreue Nachbildungen von erkrankten Körperteilen, sogenannte Moulagen. Seit exakt 100 Jahren werden im Zürcher Unispital Moulagen aus Wachs hergestellt. In erster Linie dienen sie der Ausbildung von Medizinstudierenden, denen damit das Auswendiglernen der unzähligen Eigennamen von Pusteln, Papeln und Pickeln erleichtert werden soll.

Hypochonderparadies

Für Laien macht dies den Besuch nicht weniger spannend. So lohnt sich die Sammlung zum Beispiel für leidenschaftliche Strandtouristen, die nach den obligaten Sonnenbränden jeweils hysterisch ihre Muttermale mit verpixelten Google-Bildern vergleichen. Verlässliche Hintergrundinformationen zum ausgestellten Melanom, dem bösartigen Hautkrebs, sind in den aufgelegten Broschüren zu finden. Sie dienen als Leitfaden, in dem jedes Präparat kurz erläutert wird. Auch besorgten Eltern sei ein Besuch mit dem Nachwuchs vorgeschlagen. An das gruselige Syphilisgeschwür erinnert sich der pubertierende Teenager vermutlich eher als an jede noch so kreative Safer Werbung für Safer-Sex.

Doch auch ohne triftigen Grund lohnt sich das Vorbeischauen. Der Eintritt kostet nämlich nichts, gezeigt wird einem dafür alles. Von Akne bis Herpes Zoster wird hier entblösst, was sonst in der Öffentlichkeit minutiös kaschiert, retuschiert und versteckt wird. Es versteht sich, dass darauf mancher Ästhet verzichten mag. Doch gehört Gezeigtes nun mal zum Leben. Früher oder später. Das Moulagenmuseum stellt des Menschen grösstes Organ, die Haut, mit all ihren Facetten vor, vorwiegend mit den ungebetenen. Wer sich lieber vom gephotoshopten Hochglanz-Hollywood belügen lassen will, der soll bei Madame Tussaud seinen Zaster verjubeln.

Bildung für lau

Die Moulagensammlung ist nur eines von etlichen Museen der Uni Zürich. Die weiteren Angebote sind auf der Website der Uni zu finden. Anstatt eines Zoobesuches dient beispielsweise das Zoologische Museum im Hauptgebäude als nahegelegene Alternative, bei der auf Gitterstäbe verzichtet werden kann. Ein Spaziergang durch den Irchelpark könnte mit einem Besuch im Anthropologischen Museum oder der Anatomischen Studiensammlung kombiniert werden und die Lieblingsplaylist mit ausgegrabenen Schätzen des Musikethnologischen Archivs.

Das vielfältige Angebot lädt zum Verweilen ein. Verstaubt einem im Museum mal der Kopf, kann man jederzeit wieder an die frische Luft flüchten. Der Australopithecus, der älteste unserer Vorfahren, läuft so schnell nämlich nicht davon und die Coffea arabica im Botanischen Garten wächst auch, während man sich eine Lernphase lang mit doppelten Espressi im Zimmer verbunkert. Sie bleiben und warten, bis man eines Tages vielleicht wiederkommen mag. So ist ein etappenweises Erkunden der Museen dank des freien Eintritts auch für am Hungertuch nagende Studierende möglich.

Warum also nicht gleich in der nächsten Mittagspause vorbeigehen und sich selber ein Bild machen? Die Architektur von Herzkranzgefässen ist schliesslich mindestens so verwinkelt wie jene von Gaudí, und im Gegensatz zur Sagrada Família steht man sich vor der Anatomischen Studiensammlung in keiner Schlange die Beine in den Bauch. Für derartige Strapazen dürfen die Semesterferien herhalten. Oder noch besser: Man ist bis dahin reichlich kulturgesättigt und kann den Urlaub mit wirklich Entspannendem vergeuden. Zum Beispiel mit Sonnenbaden und Pilzesammeln. ◊

Das Moulagenmuseum liegt an der Haldenbachstrasse 14 in 8091 Zürich.