Einer der Zornigsten: Thomas Bernhard auf dem Umschlag des heute erscheinenden Bandes «Städtebeschimpfungen» zvg

Der alte Meister des Zorns

Heute erscheint bei Suhrkamp ein neuer Band des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard. Neu ist daran allerdings nichts. Und gut fast ebensowenig. Eine Verlagsbeschimpfung in drei Anfällen und ein Happyend.

12. Dezember 2016

Zweifellos war Thomas Bernhard einer der zornigsten Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Da mag es zu ihm passen, dass er auf dem Umschlag des am Montag erscheinenden Bändchens mit wegwerfender Geste und ziemlich entnervtem Blick zu sehen ist: Seine Wut ist das zentrale Thema in den gesammelten «Städtebeschimpfungen». Nur: Unter dem Buchdeckel erwarten das Publikum vor allem Enttäuschungen. Weder sind die gesammelten Texte neu, noch erlauben sie einen repräsentativen Blick auf das Schaffen des 1989 verstorbenen österreichischen Autors. Dass der Verlag die Mühe einer unwichtigen Publikation auf sich genommen hat, ist trotzdem löblich. Aber der Reihe nach.

Erstens.

Vor ziemlich genau einem Jahr wurde bei Suhrkamp die zweiundzwanzig Bände starke Werkausgabe fertiggestellt, die alle Texte enthält, die Thomas Bernhard zu Lebzeiten für publikationswürdig gehalten hat. Auf über zehntausend Seiten werden in dem editorischen Prestigeprojekt nebst den bekannten Romanen und Stücken auch sämtliche Gedichte, Reden, Interviews und dergleichen zugänglich gemacht.

Was wollen also vor diesem Hintergrund die «Städtebeschimpfungen» sein, haben sie doch den interessierten Leserinnen und Lesern, von einigen Reaktionen auf Bernhards Texte (von denen noch die Rede sein wird) nichts Neues mehr zu bieten. Der Versuch, ein literarisches Lebenswerk auf ein einziges Motiv und geizige 178 Seiten zusammenzukürzen, muss auf das Kläglichste scheitern. Und das tun die «Städtebeschimpfungen» sodann auch; sie sind zu spezifisch, um eine Übersicht über Bernhards Schreiben zu gewähren, für Liebhaber und Liebhaberinnen Bernhards aber bei weitem zu wenig originell. Die «Städtebeschimpfungen» sind nutzlos.

Zweitens.

Schlimmer noch als die Nutzlosigkeit des Bandes ist die Art und Weise, in der darin mit den einzelnen Texten umgesprungen wird: Bis auf eine Anzahl Briefe wird kein Text vollständig wiedergegeben. Dabei lebt die Bernhardsche Poetik gerade von den gebetsmühlenartigen Wiederholungen, von immer neuen Eruptionen der Protagonisten und sich stets weiter öffnenden Abgründen. In Auszügen können Bernhards Werke niemals funktionieren, ja: wenn der «Auslöschung» vier kurze Passagen über Freiburg im Breisgau, Neapel, Lissabon und Vöcklabruck entnommen und ohne den geringsten Kontext neben Ausschnitte aus «Holzfällen» oder «alte Meister» gesetzt werden, dann entstellt das den Charakter aller Texte, eben weil sie immerzu bloss gestreift, statt zur Gänze wiedergegeben werden. Die «Städtebeschimpfungen» sind nichts als eine Sammlung verstümmelter Texte.

Drittens.

Einer der faszinierendsten Aspekte an Thomas Bernhards Literatur ist zweifellos ihr provokativer Zorn. Das Gewaltige an diesem Zorn ist die Bedingungslosigkeit, mit der er vorgetragen wird. Oft ziehen sich die Verschmähungen, Verfluchungen und Vernichtungen über mehrere Seiten hin und werden einige Kapitel später – zumindest da, wo es Kapitel gibt – wieder aufgegriffen und noch einmal zugespitzt. Diese Abhandlungen zielen immer aufs Ganze und dulden nicht den geringsten Widerspruch. Genau dagegen verstösst der Herausgeber allerdings, wenn er der Bernhardschen Prosa immer wieder Reaktionen in Form von Briefen oder Zeitungsartikeln gegenüberstellt. Damit wird der Autor auf unbeholfene Art und Weise kontextualisiert, nämlich relativiert, was weder Bernhards lustvoller Zerstörungswut noch seiner Kompromisslosigkeit gerecht wird. Die «Städtebeschimpfungen» sind ein Verrat an den literarischen Prinzipien ihres Autors.

Happyend.

Bei aller Kritik muss dem Suhrkamp Verlag eines doch zugute gehalten werden: Er hält seine Autorinnen und Autoren im Gespräch. Und das ist lobenswert, gibt es doch schon genug Autorinnen und Autoren, deren Texte zusehends in Vergessenheit geraten, ohne dass es jemand mitbekommen würde. Ob die Rettung vor dem Vergessen tatsächlich in redundanten Publikationen liegt, sei dahingestellt. Aber solange einfältige Kritiker auf grosse Namen hereinfallen, geht ja alles auf.