Bonsai-Büro-Feeling an der Affolternstrasse. Karina Gander

Wir Studis vom Bahnhof Oerlikon

Für viele Studierende findet der Unialltag hinter dem Hügel statt. Ein Spaziergang.

5. Dezember 2016

«Du studierst in Oerlikon?», werde ich manchmal gefragt. Oft in einem fast schon entsetzten Tonfall. «Ja, aber Oerlikon ist eigentlich gar nicht so schlimm», antworte ich dann. Doch jedes Mal muss ich überlegen, wie ich diese Aussage begründen soll. Ich möchte ja schliesslich mein Studentendasein so prickelnd wie möglich darstellen.

Inzwischen studieren immer mehr Leute in dieser postindustriellen Gegend, wo die Universität Zürich mehrere Gebäude gemietet hat: in der Affoltern-, in der Andreas- und in der Binzmühlestras-se. Alle Gebäude haben eines gemeinsam: Sie sehen aus wie Bürohäuser. Nostalgische Gemüter, die ihren Gedanken gerne in altehrwürdigen Räumlichkeiten freien Lauf lassen, müssen sich vielleicht erst einmal an das neue Ambiente gewöhnen. Viel Glas, noch mehr Beton. Bei einem Spaziergang durch Oerlikon stelle ich trotzdem fest, dass das hiesige Studileben Potenzial hat.

Büro oder Uni?

Ich gehe vom Bahnhof Oerlikon den Gleisen entlang, an einigen Bauarbeitern und ABB-Angestellten vorbei, bis zur Affolternstrasse 56. Wie eigentlich jedes Gebäude in Oerlikon sieht auch dieses nach Büroalltag aus. Auf den ersten Blick zweifelt man ernsthaft daran, dass es sich um einen Standort der Universität handelt. Tatsächlich aber treiben sich hier neben dem Bahnhof auch einige Studierende herum. Es sind angehende Politikwissenschaftlerinnen und Filmwissenschaftler sowie Studierende der Betriebswirtschaft, der Sozialanthropologie und der Populären Kulturen.

Durch eine automatische Glasschiebetür betrete ich das Gebäude. Vor mir ein langer, äusserst schmaler, jedoch überhoher Raum, der mit vielen Tischen ausgestattet ist. Einige grübeln vor ihren Laptops. Zwischen den Tischen befinden sich riesige Töpfe, darin wachsen tatsächlich kleine Olivenbäume. Eine der Studierenden blickt kurz zu mir auf und begrüsst mich mit einem Lächeln. An den grösseren Standorten am Irchel oder im Zentrum haben solche Gesten Seltenheitswert. «Ich bin sehr gerne in Oerlikon. Für mich ist dieses Gebäude nicht nur ein guter Ort um zu lernen sondern auch, um Freunde zu treffen», meint die Wirtschaftsstudentin Sophie.

Auch mir fällt es hier leichter, neue Kontakte zu knüpfen. Der direkte Austausch mit Dozierenden und anderen Mitarbeitenden der Oerliker Institute ist ebenfalls unkomplizierter als im Hauptgebäude. Bei einem Anliegen kann ich einfach in deren Büros reinmarschieren.

So komme ich auch mit Petra Holtrup, der Geschäftsführerin des Instituts für Politikwissenschaft, ins Gespräch: «Wir sind sehr glücklich über den neuen Standort in Oerlikon, da sich das Institut nun nicht mehr auf so viele verschiedene Gebäude verteilt. So entsteht ein ganz neues Campus-Feeling.» Ich kann ihr da nur beipflichten. Sowohl am Irchel als auch im Zentrum tummeln sich so viele Leute, dass man schneller das Gefühl bekommt, in der Masse unterzugehen.

Eher ein Einkaufszentrum

Unter den Bahngleisen hindurch gehe ich weiter an die Andreastrasse 15. Ein ebenfalls recht neues Gebäude, das durch seine Höhe imponiert. Ich betrete die riesige Halle, um die sich Büros und Unterrichtsräume anordnen und die auf jedem Stockwerk von gläsernen Brücken durchschnitten wird. Ein Blick nach oben – und ich wähne mich eher in einem Einkaufszentrum. Aber hier wird nicht eingekauft, hier denkt man nach: Unter anderem sind hier die Institute der Publizistik– und Kommunikationswissenschaft, der Soziologie und der Informatik beheimatet. Die Universität Zürich teilt sich das Gebäude aus-serdem mit der HSO-Wirtschaftsschule. Viele hier behaupten, man könne sofort erkennen, wer zur HSO und wer zur Uni gehört: an der Sprache und am Style. Mein Eindruck ist, dass trotzdem alle sehr gut miteinander auskommen; wenn sie zum Beispiel alle gemeinsam ihre Rauchpause vor dem Gebäude verbringen.

Vorbei an der scheinbar ewigen Baustelle neben dem Haus, mache ich mich auf zum Standort an der Binzmühlestras-se 14. Auch an diesem Standort sind die Hörsäle, wie überall in Oerlikon, nicht riesig. «Ich begegne den Dozierenden hier von Angesicht zu Angesicht. Das erzeugt für mich ein interaktiveres Vorlesungserlebnis», meint der Politikwissenschaftsstudent Oliver.

Wenig Rückzugsorte

Die Lernbedingungen in Oerlikon sind also wirklich nahe am Optimum. Doch wie sieht es aus, wenn die Vorlesung zu Ende ist?

Ich habe noch selten den Reiz verspürt, nach der Uni etwas mit anderen Studierenden zu unternehmen. In der Regel geht es schnurstracks nach Hause. Das hat weniger mit meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen zu tun als vielmehr mit den Möglichkeiten, die Oerlikon zu bieten hat. In den Uni-Gebäuden kann man nur in den zwei Mensen mehr oder weniger gemütlich einen Kaffee trinken. Ansonsten gibt es in Oerlikon wenig Rückzugs- oder Erholungsorte. Wo kann man hier abhängen? «Beim MFO-Park», findet Astrid, Politologiestudentin. Also mache ich mich auf den Weg dorthin.

Der Park befindet sich hinter dem Uni-Gebäude an der Affolternstrasse auf dem Gelände der ehemaligen Maschinenfabrik Oerlikon. Er besteht aus einem riesigen Metallgerüst, an dem Tausende von Pflanzen emporklettern. Modern eben. Über Treppen kann ich zu Balkonen in verschiedenen Höhenlagen gelangen. Von ganz oben lasse ich meinen Blick über Zürich Nord schweifen. Eigentlich ganz nett. Trotzdem bin ich der einzige Student hier. Vielleicht hängt das mit den etwas frischeren Herbsttemperaturen zusammen. Mir fallen jedoch keine wärmeren Orte ein, denen ich jetzt gerne einen Besuch abstatten würde. Das Restaurant- und Barangebot in Oerlikon ist sowieso eher auf Berufstätige abgestimmt: vom Ambiente und von den Preisen her. Vielleicht eine Marktlücke? Das Gewerbe in Oerlikon hätte mit Sicherheit das Potenzial, das Leben für Studierende attraktiver zu gestalten.

Dass sich hier Universitätsstandorte befinden, scheint vielen noch nicht bewusst zu sein. Bisher waren es eher die vielen Baustellen als die tausend Studis, die die Stimmung rund um die Gleise in Oerlikon prägten. Vielleicht ändert sich dies ja ab Dezember, wenn der neue Bahnhof endlich eröffnet wird. ◊