George Orwell und Hip-Hop

5. Dezember 2016

George Orwell und Hip-Hop

Sexismus, Gewaltverherrlichung und Materialismus sind nur einige der Vorwürfe, die man der Hip-Hop-Musik macht. Wenn Rapper wie Drake oder 2Chainz nur über Bitches, Money und Fame rappen, sorgt das für keine Begeisterung. Schaut man sich aber deren Chart-Platzierungen an, fällt auf, dass Hip-Hop-Musik sich im Mainstream trotz simpler Beats, primitiver Texte und einer gehörigen Portion Selbstinszenierung gut verkauft. Wer aber denkt, dass sich das Genre deshalb auf eben diesen Party-Rap beschränkt, liegt glücklicherweise falsch.

Abseits der Charts trifft man auf Künstler wie L’Orange, der Hip-Hop als Kunst versteht, mit der es eine Geschichte zu erzählen gilt. L’Orange ist ein amerikanischer Hip-Hop-Produzent aus North Carolina, der sich als Konzeptkünstler einen Namen gemacht hat. So ist auch sein neuestes Album, «The Life and Death of Scenery», welches kürzlich erschienen ist, an eine Grundidee gebunden. In Kooperation mit dem MC Mr. Lif hat L’Orange eine musikalische Dystopie entworfen. Die beiden zeichnen eine triste und monotone Welt, aus der die Kunst in all ihren Formen verbannt wurde. Inspiriert von George Orwells «1984», vertonen die Musiker in ihren Tracks die Gedankenkontrolle und Unterdrückung einer Gesellschaft. So erklingt zwischen den Songs immer wieder die «Voice of the Nation» als Berichterstatterin, die den Menschen das Bild einer intakten und besseren Welt vermitteln möchte, in der Bücher oder Musik nichts zu suchen haben. Aufstände werden im Keim erstickt, stattdessen wird dazu aufgerufen, die Sonne anzubeten und dem Staat vollen Gehorsam zu leisten. In diesem finsteren Zeitgeschehen scheint es kurz, als täte sich ein Hoffnungsschimmer auf, dem der Song «The Scribe» gewidmet ist. «The Scribe», zu deutsch «der Poet», setzt sich für die Rückkehr der Kultur ein, gerät dabei aber in Konflikt mit dem Regime. So meldet sich nach dem Lied auch schon die «Voice of the Nation» ein zweites Mal, um die Gerüchte um einen solchen Rebellen und potentiellen Revolutionär zu zerstreuen.

Im Song «Antique Gold» thematisieren die Künstler die Kunst selbst. Für L’Orange stellt diese ein wertvolles und vergängliches Gut dar. Mr. Lif hingegen interpretiert die «Chains of Gold», die im Lied besungen werden, als Symbol für die Rückständigkeit der Gesellschaft, wenn es um Akzeptanz und Rassismus geht. Für ihn bedeuten diese Ketten die Ketten der Sklaverei, die die afro-amerikanische Bevölkerung so lange gebeutelt haben. Obwohl die beiden Künstler unterschiedliche Auffassungen haben, wie der Song verstanden werden soll, ist es «Antique Gold» gewesen, mit dem L’Orange und Mr. Lif ihren gemeinsamen Stil entdeckt haben.

Die beiden Musiker haben so einen Weg gefunden, ihre Stärken miteinander zu vereinen, um ein bemerkenswertes Werk zu erschaffen. «The Life and Death of Scenery» ist trotz der düsteren Zukunft, die es heraufbeschwört, ein Album, das sich vor allem durch seine musikalische Leichtigkeit auszeichnet. L’Orange, der sich wohl am ehesten dem Bohemian Rap zuordnen lässt, kombiniert Vintage-Jazz-Samples mit Swing-Elementen und unterlegt diese mit starken Beats. Kombiniert mit Mr. Lifs Wortgewandtheit resultiert daraus ein hochkarätiges Album, dass sich durch seine kluge Storyline und sorgfältig abgestimmte Vertonung vom sonstigen Einheitsbrei-Hip-Hop abhebt. [aga]

L'Orange & Mr. Lif: «The Life and Death of Scenery» Mello Music, 2016