Gefährliche Liebe zum Lokalen
Fussball- und Hockeyclubs zelebrieren ihre Verbundenheit mit ihrer jeweiligen Stadt. Doch aus Lokalpatriotismus wird schnell Ausgrenzung und Hass.
Fahnen wehen im Wind, Frauen und Männer tragen Wappen auf den Kleidern. Die Masse hält die Hand aufs Herz, und manche schliessen die Augen, bevor eine Hymne angestimmt wird, die dann, Strophe für Strophe, aus voller Kehle gesungen wird. Nach den letzten Tönen bricht die Menge in Jubel aus, die Fahnen werden wild hin und her geschwungen, und wer keine Stange in Händen hält, applaudiert. Was die Beschreibung einer Nationalfeier sein könnte, spielt sich wöchentlich in allen grösseren Sportstadien ab, wenn die Fangruppen sich und ihre Mannschaft in Stimmung bringen.
Sportstätten sind Orte, die man spontan nicht mit Vaterlandsliebe in Verbindung bringt. Patriotismus, das ist gemeinhin der 1. August auf dem Rütli, das sind Schweizerfahnen an den Balkonen während der Fussballweltmeisterschaft, das ist der Stolz auf die direkte Demokratie an Abstimmungssonntagen. Die Schweizer Städte hingegen sind die linken Hochburgen des Landes. Hier leben Menschen unterschiedlichster Nationalitäten und kultureller Prägungen auf engem Raum miteinander, die hier bestehende Diversität ist für den städtischen Geist essentiell. Das scheint sich auf den ersten Blick mit althergebrachten Nationalsymbolen, Staatsmythen und Vaterlandsliebe schlecht zu vertragen. Doch das trifft nur bedingt zu.
Patriotismus im Kleinen
Lokalpatriotismus funktioniert in beträchtlich kleineren Massstäben als sein grosser Bruder. Zentral ist nicht die grosse Nation, sondern eher die Stadt oder sogar nur ein Quartier davon. Er ist aber denselben Abgrenzungsmechanismen unterworfen und bedient sich ähnlicher Zeichensysteme und vergleichbarer Rhetorik. Am augenfälligsten zeigt dies ein Blick in die Fangruppierungen verschiedener Sportclubs: Nicht umsonst ähneln Fan-Umzüge politischen Kundgebungen und nationalistischen Aufmärschen. Dominik*, ein über lange Jahre hinweg aktiver Eishockeyfan, erzählt: «Theoretisch hätte ich ebenso gut Fan von Kloten werden können. Aber als Stadtzürcher war für mich klar, dass der ZSC mein Verein ist.» Und diese Entscheidung hatte mit Eishockey relativ wenig zu tun: Fanszenen sind Subkulturen mit eigenen Symbolen, eigenem Jargon und einem besonderen Zusammenhalt, der über den jeweiligen Sport hinausgeht.
Dominik meint dazu: «Der ZSC spielt nicht unbedingt besser als zum Beispiel Zug. Aber er verkörpert etwas, mit dem ich mich identifiziere.» Und dieses Etwas ist sehr stark an die Stadt Zürich gekoppelt. Nicht zuletzt deswegen heisst es im Webauftritt des Eishockeyclubs ganz unbescheiden: «Mir sind Züri». Und Dominik hält fest, dass die Fans seines Clubs immer auch ihr ureigenes Zürich vertreten und bejubeln, wenn sie blau-weisse Fahnen schwingen, die in ihren Farben allesamt an das Stadtwappen angelehnt sind.
Irrationale Ausgrenzung
Woher diese Liebe zu Zürich kommt, kann Dominik allerdings nicht benennen. Er beschreibt überhaupt die Vorgänge in der Kurve als irrational: «Im Stadion habe ich für die Dauer eines Spiels tatsächlich das Gefühl, dass die Leute auf der anderen Seite unsere Beleidigungen verdienen.» Dabei ist ihm klar, dass «die Leute auf der anderen Seite» wegen der genau gleichen Leidenschaft zum Spiel gekommen sind wie er. Auch sie lieben den Sport, auch sie reisen ihrem Club nach und auch ihnen dürfte klar sein, dass es sinnlos ist, jemanden lautstark zu beschimpfen, weil er nicht aus derselben Stadt kommt. Eigentlich begreifen sich die Fangruppen, so Dominik, als «die grössten Jugendzentren» des Landes. Es seien nämlich in der Kurve alle willkommen, die Freude an Eishockey haben, unabhängig davon, woher sie kommen und wer sie sind.
Woher also dieser widersprüchliche und irrationale Lokalpatriotismus? Andreas*, seit seiner Jugend Saisonkartenbesitzer im St.-Jakob-Park des FC Basel, versucht diese Frage so zu beantworten: «Ich liebe diese Stadt. Hier bin ich aufgewachsen, hier arbeite ich und hier habe ich meine Freunde.» Der Fussballclub ist für ihn Sinnbild für die Stadt, und seine Liebe zum FCB ist in seinem Fall direkte Konsequenz aus der Verbundenheit zur Stadt. Er ist stolz, ein Basler zu sein, und der Fussball bietet ihm einen Rahmen, in dem er dies einmal pro Woche mit Gleichgesinnten kundtun und ausleben kann.
Unreflektiert und gefährlich
So reflektiert wie Andreas sehen das aber längst nicht alle. «Ich habe Freunde, die würden mit einem Zürcher kein Bier trinken gehen. Auch ausserhalb der Saison nicht. Für die sind die Feindschaften bei den Spielen real.» Nur so lässt es sich denn auch erklären, dass gerade Fussballspiele immer wieder mit gewalttätigen Konflikten enden. Besonders junge Fans, das bestätigt Dominik, könnten oft nicht mehr unterscheiden zwischen Alltag und dem, was im Stadion passiert. So wird das Fan-Sein auf einmal zur Weltanschauung und zum Lebensinhalt gewisser Menschen. «Dann werden manche Leute plötzlich radikal», konstatiert Dominik selbstkritisch. Starke Integration führt eben auch zu starker Abgrenzung.
Ausgrenzung
Lokaler und nationaler Patriotismus folgen also tatsächlich denselben Mechanismen, und die Fanbewegungen zeigen, wie diese funktionieren: Fanszenen bauen sich um den Sport herum auf, wo subkulturelle Codes ein starkes Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Eine eingeschworene Gemeinschaft mit eigenen Hierarchiestrukturen entsteht. Dieses Gemeinschaftsgefühl lebt aber, obwohl die Gemeinschaft sich als offen begreift, vor allem von Abgrenzung nach aussen. Sobald eine Gruppierung allerdings aufhört, sich selbst zu reflektieren, findet Radikalisierung ihren besten Nährboden.
Lokalpatriotismus, wie er etwa in Fankurven gelebt wird, ist ebenso ausgrenzend wie Nationalismus und als solcher ein Überbleibsel einer archaischen Ordnung, die eine Gesellschaft in Integrierte und Ausgegrenzte spaltet. Und dem gilt es sich zu widersetzen. Bei aller Verbundenheit, ja Liebe zum eigenen Quartier oder zur eigenen Stadt: Wo Fahnen geschwungen werden und die Hand ans Herz geht, ist Vorsicht geboten. ◊
* Namen geändert