Kevin Solioz

These: Spritzen, Jetons, Alkohol

28. Oktober 2016

Ganz normal

«Du bist so ein Suchti!», klingt es aus einer Ecke des Trams hervor. Was für ein Drama sich dort wohl abspielt? Ein Alkoholiker, der nicht von der Flasche lassen kann? Eine Kokainsüchtige, die nach dem weissen Pulver lechzt? Nein. Gemeint ist bloss der Kollege, der schon wieder am Handy hängt.

Eine «Sucht» wird einem heutzutage schneller nachgesagt, als man das Wort «Entzugsklinik» sagen kann. Oft ist damit aber schlicht gemeint, dass die «Süchtigen» eine besondere Vorliebe oder Leidenschaft für das Objekt ihrer «Sucht» aufzeigen. Aber, was bedeutet das, wenn man als «krank» bezeichnet wird, sobald man sich für etwas leidenschaftlich zeigt? Und was heisst es tatsächlich, in der heutigen Gesellschaft süchtig zu sein? Wie wirkt sich beispielsweise eine Heroinsucht auf den Studienalltag aus? Kann man einen Arbeitswütigen, der zehn Stunden am Tag im Büro und anschliessend zwei Stunden im Fitnessstudio verbringt, süchtig nennen? Gibt es Süchte, die gesellschaftlich akzeptiert sind? Und was sagt die Zulassung bzw. das Verbot von gewissen Suchtmitteln über eine Gesellschaft als Ganzes aus?

Das sind die Fragen, die wir uns stellen sollten, und nicht, ob wir uns Sorgen darüber machen müssen, dass unser Kollege bereits die dritte Tasse Kaffee trinkt.