Ein Jahr Jugend

Michał Marczak gelingt es in seinem Film „All These Sleepless Nights“ erschreckend genau, das Jungsein mit einer verwackelten Kamera einzufangen.

27. Oktober 2016

Es gibt wahrlich genügend Filme, die mit verwackelten Bildern Authentizität zu erheischen versuchen. Auch der Film All These Sleepless Nights des polnischen Regisseurs Michal Marczak verwendet diese Technik, nur anders: Keine verschwommenen Bilder von Autolichtern im Regen, keine wirren Bilder von wirren Leuten in diffusen Umgebungen. Die Bilder, die All These Sleepless Nights stattdessen zeigt, sind glasklar: Krzysztof (Krzysztof Baginski) tanzt, spricht mit einem Mädchen, tanzt weiter, raucht und bricht mit seinem besten Freund Michal (Michal Huszcza) in den Garten einer Villa ein. Diese zwei Jugendlichen hat Marczak begleitet; durch ein Jahr hindurch, von einem nicht ganz so kalten Winter in einen warmen Sommer und zurück. Und es beginnt, wo es angefangen hat: In einer kleinen Wohnung, die Luft trüb vom Zigarettenrauch.

Was dokumentarisch wirkt, ist es nur bedingt: Zwar existierte kein Drehbuch und wurde keine einzige Textzeile im Voraus aufgeschrieben. Und doch handelt es sich bei All These Sleepless Nights um einen Spielfilm. Um einen Spielfilm, in dem sich die Schauspielenden selbst spielen.

Kreislauf Nachtleben

Ein Konzept, das polarisiert, wie man an der Premiere des Films am diesjährigen Zurich Film Festival unschwer erkennen konnte. Das Kinopublikum ist gespalten und während die einen die zwei Hauptdarsteller lautstark als Schwuchteln beschimpfen, bleiben die andern auch nach dem Abspann noch klatschend sitzen. Dies obwohl – oder gerade weil – der Film einen an derselben Stelle zurücklässt, wo man zu Beginn nichtsahnend angefangen hat.

Dabei besticht All these sleepless nights sicher nicht durch seine Handlung. Es ist vielmehr die aussergewöhnliche Art und Weise, wie Marczak Dialoge zwischen Halbstarken, Laien-Philosophen und Lolitas in Pelzmänteln mit Bildern mischt, die exakt so zwar nur in Warschau, gleichzeitig aber in ähnlicher Form überall aus der Welt herstammen könnten. Parties, die nur selten nicht bei jemandem Zuhause stattfinden, denn für Clubs fehlt das Geld; frisch Verliebte und frisch Getrennte, beide fest davon überzeugt, die eine wahre Liebe gefunden respektive verloren zu haben. Der immer wiederkehrende Kreislauf des Nachtlebens: Gehen ohne Ziel, nach Hause kommen, wenn die Sonne aufgeht. In Matratzen auf dem Boden schlafen, mit jemandem im Arm, den oder die man wohl niemals wieder trifft.

Unbeschwert aufspielen

Eine weitere Besonderheit und vor allem Stärke des Films liegt in seinem eingangs angesprochenen halbdokumentarischen Stil. Man merkt den Schauspielenden an, wie unbeschwert und frei sie dadurch aufspielen können. Mit jedem Satz, jeder Frage loten sie aus, was man wohl von ihnen denken könnte; sie stellen sich dar, ohne jemals zu verlieren, wer sie wirklich sind. Sie sind aus dem Leben gegriffen, weder aufwendig zusammengebastelt, noch bewusst unprätentiös erfunden. Da gibt es den Guten, der sich benachteiligt fühlt, weil es immer nur um seinen sensitiven, labilen besten Freund geht. Den vermeintlich Erfahrenen, der weiss, dass er auch ohne eine Frau an seiner Seite glücklich werden kann (oder zumindest davon überzeugt wirkt). Und es gibt die selbstbewussten Mädchen, die sich nicht beeindrucken lassen, von nichts, was ein Junge oder die Welt ihnen verspricht. Sie alle tragen zu einem Porträt bei, wie es wenige gibt: Ein Porträt einer Jugend auf der Suche nach sich selbst, auf der Suche nach Freiheit.

All These Sleepless Nights, Polen/UK, Michal Marczak 2016