In vitro veritas – Die Zukunft des Zeugungsaktes
Sie tickt, die Uhr, unaufhaltsam. Bald steht es fünf vor Zwölf. Und ehe man sichs versieht, ist man mitten drin im hormonellen Endzeitkrieg. Dank In-vitro-Fertilisation können Frauen auch mit 50 noch Kinder kriegen. Oder von einer Leihmutter austragen lassen. Future Baby ist ein Film zwischen Verzweiflung und Hoffnung, zwischen Liebe und Genpool, zwischen Zynismus und Menschlichkeit.
Was als Notlösung für unfruchtbare Paare begann, ist zu einem florierenden Wirtschaftszweig angewachsen: Neben Eizellen und Samen kann man sich mittlerweile auch Gebärmütter (im wahrsten Sinn) kaufen, oder zumindest mieten. Heute ist es möglich, dass sich ein kinderloses Paar einen mexikanischen Samenspender und eine norwegische Eizellenspenderin aussucht und den Embryo von einer thailändischen Frau austragen lässt. Die In-vitro-Fertilisation – oder «IVF», wie die Prozedur von Ärztinnen und Betroffenen liebevoll genannt wird – ist nicht mehr bloss unumgängliches Übel, sondern probates Mittel, um sich den Wunsch vom ‹eigenen› Kind zu erfüllen.
Science-Fiction-Babys
Die Regisseurin Maria Arlamovsky führt uns an verschiedene Stationen rund um die Welt: in Kliniken, Wohnzimmer, Labors und Lagerhallen. Sie lässt dabei Ärzte, IVF-Kinder, verzweifelte Paare, Leihmütter und Bioethikerinnen gleichermassen zu Wort kommen, zeigt aber auch Eingriffe und Untersuchungen. Ein ums andere Mal verblüfft der Film mit den ungeheuren Fortschritten der medizinischen Technologien. Man wähnt sich bisweilen in einem Sci-Fi-Film, besonders wenn man im Schein des klinisch blauen Lichts der Laborlampen dabei zusieht, wie eine Befruchtung «in vitro» tatsächlich abläuft. Dass die Maschine, die die Ärztin mit einem Joystick bedient, «HAL 100» heisst, trägt sein Übriges dazu bei.
Die technischen Möglichkeiten scheinen unendlich. Nicht nur können genetische Krankheiten von vornherein ausgeschlossen werden, auch Augenfarbe und Statur können von werdenden Eltern gewünscht werden. Ganz zu schweigen von der Auswahl der Spendenden: «TC8253-1 hat in Berkeley studiert. Andererseits ist sie etwas mollig», gibt ein amerikanischer Geschäftsmann seinem Eizellen-Scout zu bedenken. Es wirkt etwas befremdlich, dabei zuzusehen, wie potentielle Eizellenspenderinnen besprochen werden wie Vieh auf dem Schlachtmarkt. Aber dem gekauften Gaul schaut man halt ins Maul!
Kinderwunsch – um jeden Preis?
Arlamovsky lässt einem in ihrem Erstling immer wieder genug Zeit, um die Eindrücke einzuordnen. Spektakuläre Aufnahmen der New Yorker Skyline oder von Eltern, die im Wartezimmer auf die Zeugung ihres Kindes warten, bieten willkommene Verschnaufpausen. Bisweilen hätte man gerne mehr erfahren; über die Leihmütter beispielsweise, die ihren Körper und ihre Integrität aufgeben, um einem privilegierten weissen Paar den Traum der Weitergabe des genetischen Codes zu erfüllen – nur, um noch auf dem Operationstisch, mit aufgerissener Bauchdecke dabei zuzusehen, wie die Leibesfrucht an die rechtmässigen Besitzer übergeben wird.
Neben euphorischen, wissenschafts- und technologiehörigen Ärzten, die sogar die Produktion von Designer-Babies vorbehaltslos glorifizieren und sich damit an der Grenze zur Eugenik bewegen, zeigt die Doku auch kritische Stimmen, wie jene der Soziologin Barbara Katz-Rothman: Wer entscheidet, welche Leben lebenswert sind? Und wie weit lassen sich Risiken überhaupt minimieren? Durch die kluge Auswahl der Gesprächsabschnitte drängt einem der Film keine vorgefertigte Meinung auf. Die Frage der Geburtenkontrolle, die am Anfang gestellt wird, wird unbeantwortet dem Publikum überlassen: «Wie weit wollen wir gehen?»