Lund Universität, Hauptgebäude. CC Magnus Bäck

Die akademische Blase

Wir tendieren dazu, uns mit Leuten zu umgeben, die uns ähnlich sind. Wie dies in der schwedischen Stadt Lund deutlich wird und wieso dadurch Möglichkeiten und Perspektiven verloren gehen, erzählt Eleonora Kleibel in ihrer Kolumne über das Studierendenleben im schwedischen Lund.

Eleonora Kleibel (Text) und Dominique Zeier (Übersetzung)
13. Mai 2016

«Einen Moment, es sind tatsächlich nur Studierende Mitglied in diesem Klub?» Bevor mich eine Freundin aus meiner Heimat hier in Lund besucht hatte, habe ich ehrlich gesagt nicht viel Zeit damit verbracht, mir darüber Gedanken zu machen, wie exklusiv und wenig divers die typischen «Lund-Aktivitäten» sind. In einer Studierendenstadt zu wohnen hat natürlich seine Vorteile. Ich geniesse das Gemeinschaftsgefühl, die Nähe zu allem und den Kleinstadtcharme. An der Lund University studieren 40‘000 Studierende in acht Fakultäten, die auf drei Standorte verteilt sind. Die Studierenden machen die Hälfte der Bevölkerung von Lund aus!

Es ist grossartig, mit so vielen verschiedenen Menschen in Kontakt zu kommen, die sich ebenfalls in Forschung und Wissenschaft vertiefen. Gut möglich, dass ich bereits einmal mit der Person, die eine neue Version von Bluetooth erfinden wird – welches interessanterweise in Lund entwickelt wurde – zu Mittag gegessen habe, oder dass ich mit einer Person im Chor singe – eine typisch schwedische Aktivität –, die bedeutungsvolle Antworten auf die globale Umweltkrise gefunden hat. Allerdings bekomme ich manchmal auch den Eindruck, dass unsere Beziehungen, Konversationen und Treffen in einer einseitigen Weltansicht münden. Bildung ist noch immer ein Privileg. Noch lange nicht alle haben die Möglichkeit, eine Universität zu besuchen. Selbst wenn wir glauben, wir hätten hart dafür gearbeitet, zeigen die Statistiken eine stark einseitige Tendenz: Europäische Universitäten sind hauptsächlich mit weissen Studierenden aus der Mittelschicht bevölkert. Der gender gap konnte in den tieferen Studiensemestern zwar eliminiert werden, je höher man die akademische Leiter allerdings nach oben klettert, umso dünner wird die Luft für Frauen. Darüber hinaus kommen die meisten Studierenden aus einem Haushalt, in dem bereits mindestens eine Person einen Universitätsabschluss hat. Insgesamt gibt es in Europa kein Land, in dem mehr als 37 Prozent Akademikerinnen und Akademiker leben. Norwegen hat den höchsten Anteil an Studierten in der Bevölkerung. In anderen Ländern wie Slowenien oder Österreich liegt der Anteil unter 15 Prozent.

Natürlich muss nicht jeder und jede eine höhere Ausbildung durchlaufen. Manche Leute erlernen ihre Fertigkeiten lieber, indem sie direkt anpacken oder steigen gleich nach dem Schulabschluss ins Berufsleben ein. Allerdings sollten alle die Möglichkeit haben, ihren Bildungsweg selbst zu wählen. Und leider haben dies noch immer nicht alle Menschen.

Der kleine Teich

Wir schwimmen also in Lund immer noch in einem vergleichsweise kleinen Teich, egal wie divers die Stadt auch zu sein scheint. Wenn man sich immer nur in der eigenen akademischen Blase aufhält, vergisst man leicht, dass es sich dabei nicht um einen Querschnitt der Bevölkerung handelt. Sich mit Menschen aus verschiedenen Uni-Departementen zu umgeben, kann horizonterweiternd sein, es gibt allerdings auch ausserhalb des Hörsaals wichtige Lektionen zu lernen.

Aus der Studi-Blase auszubrechen kann uns helfen, uns unserer Privilegien bewusst zu werden. Bildungsmöglichkeiten und soziale Chancen sind nicht für alle gleich. Wo wir geboren wurden und wer unsere Eltern sind, ist noch immer ein entscheidender Faktor dafür, was wir erreichen können. Es gibt noch immer die Barrieren der strukturellen Diskriminierung auf dem Weg zu höherer Bildung, die Ursache für bestehende Ungleichheiten sind und diese auch wieder aufs Neue reproduzieren.

Deshalb sollten wir uns bewusst sein, dass, egal wie schwierig und ermüdend unsere kleine Welt manchmal scheint, viele von uns dieses «Spiel des Lebens» auf dem einfachsten Schwierigkeits-Level spielen dürfen.

Eleonora Kleibel Lundagård-Kolumnistin / internationale Studentin / studiert European Studies

LUNDAGÅRD Lund, Schweden / Lund University / seit 1920 / älteste Studierendenzeitung Schwedens / berichtet online auf Schwedisch und Englisch / erscheint monatlich gedruckt