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Kommentar: Es lebe Humboldt!

Kommentar

10. Mai 2016

Gut Ding will Weile haben — Langzeitstudierende beziehen auf Kosten der Gesellschaft einen Service, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Sie sind auf dem Arbeitsmarkt weniger wert, gelten als Inkarnation von Faulheit und Disziplinlosigkeit und tun nicht mal was für die Statistik. So die landläufige Meinung.

Vielleicht ist es Zeit für eine Grundsatzfrage: Weshalb wird Studieren als notwendiges Übel zum grossen Zweck, der eigenen Profitabilität auf dem Arbeitsmarkt, angesehen? Wieso gilt es als Verschwendung – von Zeit, Geld und Ressourcen –, zu studieren, ohne am Schluss einen akademischen Titel zu erhalten? Warum geniessen Bulimielernende, die nach sechs Semestern abgeschlossen haben, ein höheres Ansehen als akribisch Forschende, die ihre Studien über Jahre vertiefen?

Durchhaltewillen und Disziplin zeigt an der Akademie nicht, wer so schnell wie möglich so viel wie möglich in seinen Kopf lädt, sondern, wer sich mit der Materie auseinandersetzt – auch mal länger als nötig, um Punkte zu kriegen. Doch das System Bologna, das auf Kreditpunkte und «Output» setzt, scheint das Humboldtsche Bildungsideal längst abgelöst zu haben. Wer 40 Semester Geschichte studiert, wird heute als Problemfall taxiert. Dabei wurden Universitäten gerade für solche Leute gegründet. Für Berufsausbildungen gibt es Fachhochschulen. Und zu glauben, Langzeitstudierende ohne Abschluss brächten der Gesellschaft nichts, ist genau so verfehlt, wie zu glauben, dass alle Diplomierten Heilsbringer seien.Aber darüber muss sich vielleicht weniger die Unileitung Gedanken machen als vielmehr die Gesellschaft – also wir.