Kevin Solioz

Die älteren Semester

Viele Seniorinnen und Senioren besuchen Kurse an der Uni. Welche Angebote gibt es für sie? Und weshalb wollen sie überhaupt im hohen Alter die Unibank drücken?

3. Mai 2016

Wer kennt nicht das Gefühl, den falschen Hörsaal betreten zu haben, wenn zunächst nichts als ein Meer von grauhaarigen Köpfen zu sehen ist? Anständig gebundene Krawatten, adrett frisierte Haare und flaschenbodendicke Brillen hinter allen Tischen. Altmodische Füllfedern liegen ordentlich neben Notizblöcken; von Pappbechern, Computern und Mobiltelefonen keine Spur. «Grüess di Ruedi, wie häsch?» und «Sali Peter, cheibe guet bi dem Wetter!», tönt es aus dem Gestühl. Kann das sein? Ist es noch zu früh am Morgen? Nein, das sind wirklich Kommilitoninnen und Kommilitonen, die einen da aus ihren runzligen Gesichtern anlächeln.

Intellektuelle Fähigkeiten erhalten

Was treibt diese Seniorinnen und Senioren an, die Unibank zu drücken, statt Zeit mit ihren Enkelinnen und Urenkeln im Garten zu verbringen? Fragt man Senioren-Studierende, wieso sie die Reihen der Hörsäle bevölkern, sind sie sich einig: Intellektuelle Weiterbildung – und dies erst noch mit dem Gütesiegel einer etablierten Hochschule wie der Universität Zürich. Dies bestätigt auch eine Mitgliederbefragung an den Schweizer Senioren-Universitäten von 2012, durchgeführt vom Institut für Soziologie der Universität Bern. Die häufigsten Gründe für das Studium im hohen Alter sind die Freude, Neues zu lernen und die Neugierde zu befriedigen, sowie die Erhaltung und Stimulierung intellektueller Fähigkeiten.

Ein hohes Mindestalter

Die Universität Zürich bietet die Möglichkeit, sich als Auditorin oder Auditor anzumelden. Dies tut eine grosse Zahl von Seniorinnen und Senioren. Das Angebot an Veranstaltungen ist fast so breit wie für normale Studierende: Viele reguläre Lehrveranstaltungen der Uni, mit Ausnahme einzelner Seminare, sind für die Hörerinnen und Hörer zugänglich. Eine bis zwei Wochenstunden kosten 110 Franken pro Semester, für 660 Franken können sieben oder mehr Lektionen besucht werden. Zu den Prüfungen und also zum Erlangen eines akademischen Abschlusses werden die akademischen Gäste aber in beiden Fällen nicht zugelassen. Dafür ist eine reguläre Immatrikulation nötig.

Viele wortwörtlich ältere Semester nutzen auch die Senioren-Universität – dann trifft man sie vielleicht nicht in den normalen Vorlesungen an, dafür aber auf den Gängen. Mehrere Schweizer Hochschulen bieten Bildung extra für die Oldies an. Die Vorträge und Kurse der Zürcher Senioren-Universität, die letztes Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum feierte, werden von emeritierten Professorinnen und Professoren der Uni und der ETH sowie von weiteren Dozierenden gehalten; sie stehen nur Mitgliedern offen. Nebst Seminaren zur Kunstgeschichte, Medizin und Politik werden auch Gedächtnistrainings- und Computerkurse angeboten. Dank diesem breiten Angebot wird wahr, wovon viele schon lange träumen: Bildung auf hohem Niveau für die Bäuerin und den pensionierten Bankangestellten gleichermassen, ohne Auflagen bezüglich Vorwissen oder Herkunft, und das Ganze erst noch für wenig Geld. So können sich Interessierte aller Couleur für 120 Franken ein ganzes Kalenderjahr lang jeweils dienstag- und donnerstagnachmittags weiterbilden. Einzige Teilnahmebedingung ist ein Mindestalter von sechzig Jahren.

Intrinsische Motivation

Es ist offensichtlich so, dass geistige Weiterbildung nicht bloss ein Bedürfnis der Jugend ist. Manche der alten Studierenden wollen sich selbst beweisen, dass sie im Alter noch in der Lage sind, komplizierte Zusammenhänge und Wissensinhalte verstehen zu können. Und einige scheinen vor allem den jüngeren Semestern zeigen zu wollen, wie viel sie schon erlebt haben in ihrem langen Leben, wie viel mehr sie deshalb wissen. Aber viele der grauhaarigen Kommilitoninnen und Kommilitonen zeigen gerade jenen intrinsischen Antrieb, den manche junge Studierende mitunter vermissen lassen. Studieren geht jedoch auch leichter, wenn es viel weniger kostet, keinen Zeit- und Prüfungsstress mit sich bringt und nicht den Grundstein der beruflichen Zukunft markieren muss. Wohl darum sind die Älteren oft erstaunlich locker, freundlich und immer für ein Schwätzchen zu haben: Sie finden die Uni einfach «lässig».