Michael Kuratli

Auf zu neuen Sphären

Anna Känzig hat sich mit ihrem Album «Sound and Fury» neu erfunden und sich damit unter ihrem Stammpublikum nicht nur Freunde gemacht. Am Freitag war Plattentaufe im Club Plaza.

1. Mai 2016

Es ist ein böser Bass, auf den sich Anna Känzig da eingelassen hat. Er dröhnt aus den verzerrten Magnetbändern und dem Keyboard ihres Pianisten, wenn man ihn denn noch so nennen darf. Er grollt aus den hallschwangeren Griffen ihres enthusiastischen Gitarristen. Es ist ein Bass, der einen treuen Anna-Känzig-Konzergänger mit der Fassung ringen lässt. Denn die Jazzschulabsolventin, die bis zu ihrem Mayor-Label-Deal mit Sony ihrer Countryseele freien Ritt liess, ist nicht mehr. An ihrer statt tritt uns ein hart kontrastierter Popstar entgegen, der anderen Gesetzen folgt. Die Karohemden ihrer Bandkollegen wurden durch schwarze V-Ausschnitt-Shirts ersetzt, die sanft ausgeleuchtete Jazzclubstimmung ist der Diktatur der LED-Visuals gewichen. Zumindest musikalisch knüpft sie mit der Neuorientierung an ihre Triphop-Urzeit mit der Band «Sphère» an.

Brücken niederbrennen

Doch die Musikkarriere ihrer letzten Alben im Jazz- («Four Acres and no Horse») und Countrystil («Slideshow Seasons») lässt Anna Känzig abrupt hinter sich. Sinngemäss singt sie in ihrer zweiten Singleauskopplung «Get out» von niedergebrannten Brücken, während sich ihr Dreieckslogo in die Retina der Konzertbesucherinnen brennt. Es ist ein harter Bruch mit der Vergangenheit, und ein gewagtes Stück. Denn: Während bei den Konzerten ihrer ersten zwei Soloalben mitunter noch ein gestuhlter Saal Känzigs sanfter Stimme und ihren eingänigen Rhythmen lauschte, schreien die harte Elektrogitarre, die perfekten Samples und die satte Perkussion nach Bewegung. Und tatsächlich überzeugt ihr entschlackter Live-Auftritt wesentlich mehr als das überproduzierte Studioalbum «Sound and Fury». Nur: während sie mit ihrer «alten» Musik eine kleine, feine Countrypop-Klientel bediente, muss sie mir ihrem neuen Sound ein anderes, ein komplett neues Publikum anziehen. Eines, das ihren harten Auftritt zu schätzen weiss. Die anstehende Tour bringt sie unter anderem auch auf den Gurten. Die Openair-Besuchenden könnten denn neben dem bereits in Bearbeitung genommenen Radiopublikum auch zur neuen Stammkundschaft der Zürcherin werden.

Bewährter Charme

Ganz radikal liess Känzig ihre Vergangenheit zumindest an der Plattentaufe dann aber doch nicht hinter sich. Obwohl ihr aus ihrer alten Band nur noch Ramon Ziegler (Keys) die Stange hält, schafften es doch ein paar Songs der zwei Vorgängeralben ins Line-Up des Auftritts im Plaza. Bei dieser Gelegenheit schnallte sich Känzig denn auch gerne wie früher die Gitarre um, obwohl ausser der Grundmelodie und den Texten kaum mehr eine Note auf der anderen blieb. Känzigs formatierend-neuer Stil wird auch zum Massstab für ihre vergangenen Ohrwürmer.

Die neue Anna Känzig, sie tritt forsch in die Welt hinaus und will es wissen. Ob das musikalisch spannender ist, als die vergangene Wohlfühl-Anna, können alte Fans wohl kaum unvoreingenommen beantworten. Dass hinter diesem Wandel ein grosses Label mit seinen eigenen Vorstellungen der Marktplatzierung steht, merkt man aber sofort: Dieser Elektropop ist für die grosse Bühne angerührt. Dennoch hat die nach wie vor erfrischend scheue Künstlerin sich ihren Bühnencharme und damit ihre Authentizität bewahrt. Ein angenehmer Umstand, der es einigen alten Fans wohl wesentlich leichter machen dürfte, ihrer Anna auf neuen Pfaden zu folgen.